Architectura Pro Homine - Forum für Klassische und Traditionelle Baukunst - www.aph-forum.de.vu

    

 · Home · Impressum & Datenschutz · Suche

Seiten mit Postings: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29

zum Seitenende

 Forum Index —› Deutschland —› Nürnbergs Wiederaufbau
 


Autor Mitteilung
mathias
Senior-Mitglied

Beiträge: 315


 

Gesendet: 14:42 - 15.05.2003

Lieber Lucien,
deine Katarxis-Seite zum Thema Rekonstruktion enthält sehr wichtige und sehr humane Gedanken.
Tatsächlich bin ich immer wieder erstaunt, wenn ich in schönen alten Städten mit harmonischem Stadtbild erfahre, wie oft auch dort Kriege und Brände über Jahrhunderte zu Zerstörungen geführt haben. Beim Wiederaufbau wurde jedoch immer wieder an vorhandene Traditionen angeknüpft, sodass die Geschlossenheit im Ortsbild gewahrt blieb und sich eine wunderbare lebendige Einheit in der Verschiedenheit bilden konnte (Beispiel: Goslar). Ein Bedürfnis nach architektonischen Wunden und disharmonischen Brüchen gab es dort zum Glück nicht.

Ich stimme Léon Krier zu, dass das Prinzip der Rekonstruktion etwas natürliches und Teil des Lebens ist und dass erst der Tod diese immerwährenden Rekonstruktionen stoppt. Die Liebe zu Ruinen und das Bedürfnis, diese als Brüche, als offenen Wunden zu belassen, zeigt dagegen, dass eine Tradition sich nicht mehr erneuert, weil sie tot ist.

Die Akropolis in Athen wurde z. B. erst von den Romantikern im 19. Jahrhundert zur toten Ruine gemacht, bis dahin wurde sie immer wieder erneuert und auf unterschiedliche Weise genutzt, als heiliger Bezirk mit Tempeln, später mit römischen Ergänzungen, als byzantinische Kirche (nach Umbau des Parthenons) und als türkische Moschee. Erst die Archäologen der Neuzeit rissen alles ab, was ihnnen nicht ins Bild passte - egal ob römisch, byzantinisch oder türkisch - und schufen künstliche Ruinen. Damit beendeten sie eine zweieinhalbtausend Jahre alte lebendige Tradition einer religiösen Stätte.
Ruinen sind tote Zeugnisse des Vergangenen, Rekonstruktionen dienen dem Leben.
Philipp
Mitglied

Beiträge: 168


 

Gesendet: 16:21 - 15.05.2003

Der Schmeissner Dresdens hieß Conert. Er entwickelte den ersten Dresdner Wiederaufbauplan, der dem Nürnberger gleicht. Leider starb dieser Mann 1946 und der Rest der Geschichte ist uns allen bekannt!
Jürgen
Senior-Mitglied

Beiträge: 370


 

Gesendet: 03:39 - 16.05.2003

Liebe Freunde im Forum,
nach meinem ersten Gehversuch gestern (noch als Anonymous), bin ich überrascht über euere spontanen Rückmeldungen zu meinem Beitrag über das untergegangene Nürnberg.
Vielen Dank – es tut gut, an einem Ort wie diesen, bundesweit geistigen Austausch zu finden.
Wenngleich ich immer erst nach Feierabend und Erledigung des Alltags „hinzustoßen“ kann!

Der Vorschlag auf ein Treffen in Dresden klingt gut, ein persönlicher Austausch in so schöner Umgebung wäre bestimmt bereichernd!


Obwohl ich sehr stark mit „meiner Noris“ verwurzelt bin, hege ich Wehmut mit jeder einzelnen Stadt Deutschlands, die versunken ist. Wehmut wegen jeder baulichen Eigenart, die vielleicht ein neues Bild auf die Stadtentwicklung oder die Menschen vor 500 Jahren geworfen hätte; Wehmut wegen einer Identität, die wir alle verloren haben und die erst durch die Rekonstruktion (oder ebenbürtigen Ersatz) wiederbelebt werden wird; aber auch Wehmut wegen einem Heimatgefühl, zu dem wir abseits vom dumpfen Musikantenstadl - Gedröhne alle nur langsam wiederfinden.

Die 12 Jahre Diktatur hinterliessen tiefe Spuren:
Scham, totale Zerstörung und das Rennen um eine wirtschaftliche Führungsrolle transformierten viele Städte in das, was sie heute sind. Meist nur Abziehbilder von einst türmereichen und burgengekrönten Stadtbildern.

Lesern mit viel Rückgrat und Standhaftigkeit seien die beiden Bände von Hartwig Beseler und Niels Gutschow „Kriegsschicksale deutscher Architektur I und II “ empfohlen.

Fast 45 (!!) Jahre nach Kriegsende legten sie Ende der 80iger die erste vollständige Dokumentation für die Totalverluste, schweren Zerstörungen und Beschädigungen im - damals noch - Westteil Deutschlands vor.
Bezeichnend ist schon die Zeitspanne, die zwischen Zerstörung und Doku liegt!

Ich will den eventuell unbedachten Leser warnen: Lange ist die Lektüre nicht zu ertragen. Die Verwüstungen, die Deutschlands Kunst und Kultur in Stein hat hinnehmen müssen, so zusammengetragen und mit solcher wissenschaftlicher Akribie aneinandergereiht zu sehen , sind nur schwer auszuhalten. Eine schier endlose Kette: Stadt für Stadt, Totalverlust um Totalverlust, Geschichtszeugnis für Geschichtszeugnis verloren, dabei nie emotional oder von der wissenschaftlichen Beschreibung abweichend.

Hier sei noch die Frage gestellt: Gibt es eine solche gesamte Bestandsaufnahme für die ehemals wunderschönen alten Städte im ehemaligen Osten? Ich wurde bisher noch nicht fündig und bin für jeden Tipp dankbar.

Mit euerem Einverständnis und hoffentlich in euerem Sinn, würde ich an dieser Stelle gerne immer wieder Beiträge zu meiner Stadt stellen:
Nürnberg mit seinen ehemals verschatteten Gässchen und wohnlichen Plätzen, mit seinen Brunnen und Höfen, Erkern und Chörlein, den hunderten Türmchen und den tausenden alter Häuser aller Stilrichtungen, innerhalb der Sandsteinmauern.

Lokal bin ich beim Verein „Altstadtfreunde – Nürnberg“ aktiv, Deutschlands größter Bürgerinitiative diesbezüglich mit knapp 6.000 Mitgliedern und jetzt seit 29 Jahren bestehend.
Der Verein gründete sich im Herbst 1973, nachdem der historische Raubbau, die Leichenfledderei am immer noch großartigen Stadtbild zunehmend fortschritt.
Ich bin im Vergleich zu den Wegbereitern erst eine kurze Zeitspanne aktiv.

Was wären wir nur ohne solche Pioniere von damals?

Grüße aus Nürnberg

katarxis
registriert

Beiträge:


 

Gesendet: 04:13 - 16.05.2003
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 13:09 - 16.05.2003

Original geschrieben von Norimbergus
Die Altstadtfreunde Nürnberg sind wieder aktiv geworden, um ein marodes Haus zu retten. Aus der NN vom 10.05.2003:


Altstadtfreunde erwerben das einstige Gerberhaus Hintere Ledergasse 43: Kein Geld für die aufwendige Sanierung
Verrottete Bude vor dem Einsturz gerettet
Hoffnung auf einen Sponsor — Vorerst nur statische Sicherung — Umlaufende Holzgalerie soll freigelegt werden


Die Altstadtfreunde haben wieder einen neuen Klotz am Bein: Sie erwarben das einsturzgefährdete Haus Hintere Ledergasse 43. Eine umfassende Sanierung ist momentan allerdings finanziell nicht drin, weil der Verein zunächst zwei andere Baudenkmäler in Stand setzen muss. So bleibt es zunächst bei der statischen Sicherung.

Eine Kartusche an der Außenmauer mit der Jahreszahl 1697 verrät das Alter des einstigen Gerberhauses. Die Bausubstanz ist mittlerweile völlig heruntergekommen. Unter dem Putz ist das Fachwerk teilweise verfault, weil das Wasser ungehindert eindringen konnte. Eine Hauswand zum Innenhof war bereits 60 Zentimeter nach außen gewölbt — das vor einem Jahr noch bewohnte Gebäude drohte in sich zusammenzufallen.

Daraufhin zog die städtische Bauordnungsbehörde die Notbremse und machte dem damaligen Eigentümer hohe Auflagen. „Da die Anforderungen immer unerfüllbarer wurden, fassten wir den schweren Entschluss zum Kauf“, erklärt Altstadtfreunde-Chef Erich Mulzer, der sich aber über die Höhe des Kaufpreises ausschweigt. Mindestens eine Million Euro sind notwendig, um die verrottete Bude wieder bewohnbar zu machen. Zunächst war Mulzer über den Neuerwerb wenig begeistert: „Eine langweilige Fassade in einer unattraktiven Straße“, so seine Einschätzung. Beim Kramen im Stadtarchiv fand der passionierte Geschichtsforscher jedoch einen Umbauplan aus dem Jahr 1852. Aus diesem ging hervor, dass das Gebäude offene, umlaufende Holzgalerien in den oberen Stockwerken hatte, die nun zum Teil unter Putz liegen. „Mit dem Freilegen und Sanieren der Balkone wird der Innenhof zum schönsten auf der Lorenzer Seite“, behauptet Mulzer.

Die Dachgeschosse wurden früher zum Trocknen der gegerbten Felle genutzt. Im Erdgeschoss sind noch die originalen, in Sandstein gefassten Gruben zu sehen, in denen die Handwerker des 17. bis 19. Jahrhunderts die Tierhäute in Eichenlohe eingelegt hatten. Unter Heraklitplatten kam im ersten Stock eine massive Bohlenbalkendecke zum Vorschein. „Das Haus gibt allmählich seine Geheimnisse preis“, meint Altstadtfreund und Architekt Michael Taschner.

Erich Mulzer hofft immer noch auf einen finanzstarken Sponsor: „Mich wundert, dass es keine Firma gibt, die uns dauerhaft unterstützt.“ In die oberen Stockwerke der Hinteren Ledergasse 43 sollen Familien einziehen, das Erdgeschoss dürfte als Lager dienen.

Immerhin 200 Baumaßnahmen — von der Marienfigur über Erker und Hauszeichen bis zum nachgebauten Chörlein und zur kompletten Hausrenovierung — hat der Verein in den 30 Jahren seines Bestehens abgeschlossen. Elf Anwesen innerhalb der Stadtmauer sind fertig saniert, zwei weitere (Mostgasse und Weißgerbergasse) werden derzeit hergerichtet.

Beim Altstadtspaziergang am Samstag, 17. Mai, am Fischbach entlang durch die Lorenzer Altstadt kann man das marode Haus besichtigen.

HARTMUT VOIGT


[Link zum eingefügten Bild]
Das Haus in der Hinteren Ledergasse 43, wie es über 150 Jahre lang aussah. Darüber legte unser Fotograf einen Plan von 1852, der das Haus in seinem damaligen, 1697 entstandenen Zustand zeigt, mit offenen, 18 Meter langen Holzbalkonen in den beiden obersten Stockwerken, die später dem Einbau von Wohnungen weichen mussten. Foto: Hagen Gerullis

Das Foto stammt nicht aus der NN, sondern aus dem entsprechenden Beitrag in der NZ.


Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 13:31 - 16.05.2003

jürgen,
herzlich willkommen im forum!
ich freue mich, endlich mit einem mitglied der altstadtfreunde diskutieren zu können, deren arbeit ich sehr bewundere. nürnberg kann sich überaus glücklich schätzen, einen solchen verein zu besitzen.
aber, man muss auch sagen, dass es anders nicht geht, als durch bürgerliches engagement. die rezente politische klasse ist weder fähig noch willens, solche aufgaben, die eigentlich originär dem gemeinwohl dienen, zu übernehmen. leider, müssen sich die bürger kümmern, wenn sich etwas ändern soll.
es sind diese kleinen bedeutenden änderungen, wie z.b. das freigelegte fachwerk ggü. dem dürerhaus, die sofort positiv auf das stadtbild und ergo den lebenswert ausstrahlen. eine schande, dass die politik für so etwas meist bild ist, aber es ist eben so.

vereine gründen, in vereine eintreten, spenden, helfen, sich immer wieder einmischen, das ist das, was die bürger - also wir - tun können und tun müssen. wenn wir die gestaltung unserer umwelt anderen überlassen, dann brauchen wir uns auch nacher nicht beschweren, wenn das ergebnis ein einziges desaster ist.

der bereich innerhalb des festungswall in nürnberg ist trotz der vielen üblen ecken ingesamt durchaus schön und bestitzt zahlreiche traumhafte ecken und blicke. nürnberg ist schon schön und hat das potenzial, mit relativ einfachen mitteln eine echte perle zu werden.
wenn es nach mit ginge, würde ich innerhalb der mauern folgende punkte fordern:
- keine architektur im stil des 20. jhd.;
- einhaltung der ursprünglichen grundrisse so weit wie möglich und sinnvoll;
- rekonstruktion aller gebäude, die für die geschichte oder das gesicht wichtig sind;
- neue gebäude müssen sich in stil und form an der bestehenden "alten" architektur orientieren;
- möglichst sollten neue gebäude die für nürnberg typischen merkmale aufweisen, d.h. v.a. roter buntsandstein und/oder erker und/oder fachwerk;
- abriss aller nachkriegssünden (nach und nach);
- keine experimente.


ich freue mich sehr, wenn du hier im forum regelmäßig neuigkeiten über nürnberg beiträgst, da mir die stadt sehr am herzen liegt (obwohl ich gebürtiger schwabe bin ).


kannst du z.b. näheres zu dem artikel oben sagen? hast du bessere bilder des alten gebäudes? ich hätte gerne nähere infos zu den balkonen.

beste grüße!
steinkohl
registriert

Beiträge: 6


 

Gesendet: 13:38 - 16.05.2003

Ich habe auch diese Bücher, alte und neue Bundesländer. Es mag vielleicht kitschig klingen, aber ich kann sie mir nicht oft ansehen, weil es mir sonst fast das Herz zerreißt! Es wird ja viel darüber geredet, wieviel im und nach dem Krieg verloren ging, aber durch die Fülle des Bildmaterials, die diese Bücher bieten, trifft es einen wie ein Schlag! Und es gibt ja noch nicht mal von jedem Gebäude Bilder! Ich trauere all dem verloren gegangenem nach, obwohl ich erst 19 bin, aber wie muss/musste es erst den Leuten gehen/gegangen sein, die vor dem Krieg in den Städten lebten und danachin diese gesichts-/geschichtslosen Einöden zurückkehrten? Das kommt doch einem Heimatverlust gleich! Da die Bücher mit den alten Bundesländern aber scheinbar schon aus den 80ern stammen, ist es erfreulich, das sich mancherorts doch schon etwas getan hat, z.B. das Knochenhaueramtshaus in Hildesheilm oder der Frankfurter Römer! Trotzdem bleibt noch viel zu tun!!!!!!!!!!!!!!
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 13:41 - 16.05.2003

lucien,
ich würde mich sehr über deinen text freuen. also wenn du ihn irgendwann übersetzt hast, oder dies ein anderer getan hat, möchte ich ihn unbedingt lesen!
ich finde es immer wieder sehr erfreulich und ein zeichen von größe, wenn sich architekten für rekonstruktionen einsetzen. das zeigt nämlich, dass sie nicht nur sich selbst sehen und egozentrisch verwirklichen wollen, sondern dass sie auch respekt vor der größe und dem können verstorbener architekten haben, dass sie an der einen oder anderen stellen vielleicht sogar einräumen müssen, dass das, was vor ihnen von einem anderen entworfen wurde, einfach besser ist.
dieser respekt geht vielen architekten der neuzeit völlig ab. nur fixiert auf sich und ihr schaffen, wird jede gelegenheit genutzt, sich darzustellen, und seien die folgen auch noch so verheerend.

und natürlich, gerade in durch krieg großflächig zerstörten ländern wie deutschland hat rekonstruktion noch eine dimension weit weg von ästhetischen oder kunsthistorischen fragen: es geht um die eigene geschichte, um die eigene identität - und damit irgendwie auch um die möglichkeiten der existenz schlechthin.
Andre
registriert

Beiträge: 22


 

Gesendet: 16:03 - 16.05.2003

@Schlüter
Das wäre zwar schön, aber ich glaube nicht die alten Betonköpfe sich so schnell aus ihren Positionen verdrängen lassen. Sie werden nicht Ruhe geben eh nicht auch Städte wie Regensburg, Erfurt oder Görlitz "modernisiert" worden sind.
Schlüter
registriert

Beiträge:


 

Gesendet: 17:03 - 16.05.2003

@Andre
Sicher nicht schnell und nicht freiwillig. Ich bitte alle hier um Vergebung für eine eventuelle Wiederholung, aber wir haben ja am jahrelangen Kampf und den Bemühungen von Herrn von Boddien gesehen, wie man zuerst Bewußtsein schafft (aus der kollektiven Erinnerung war das Schloß bis 1993 so gut wie verschwunden), dann Mehrheiten, Verbündete und Geld organisiert und zum Schluß durchmarschiert. Jetzt sind wir dran. Der Weg ist das Ziel.!Und jedes Pendel schwingt mal zurück.

Seiten mit Postings: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29

- Nürnbergs Wiederaufbau -

zum Seitenanfang



 Forum Index —› Deutschland —› Nürnbergs Wiederaufbau
 



Version 3.1 | Load: 0.005874 | S: 1_2