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 Forum Index —› Deutschland —› Nürnbergs Wiederaufbau
 


Autor Mitteilung
Jürgen
Senior-Mitglied

Beiträge: 370


 

Gesendet: 21:27 - 02.10.2003

@peter
Wie schon des öfteren angesprochen, Deine Eloquenz beim Schreiben wäre in verschiedenster Hinsicht eine gute Unterstützung. Ich weiss nur nicht konkret, was derzeit ansteht, wo Hilfe gebraucht wird.

Ein Wiederaufbau des Pellerhauses oder WENIGSTENS EINE Ensemblerekonstruktion in Nürnberg (es gibt derzeit: 0.0000) wäre grundsätzlich absolut unterstützenswert.

Aber die ALtstadtfreunde haben in ihrer 30-jährigen Geschichte immer die These vertreten, lieber punktuell an vielen Stellen der Altstadt zu wirken, als ein großes Projekt zu verwirklichen und dann finaziell erschöpft zu sein.

Ich finde, dass dieser Weg richtig gewesen ist, man sieht es am Erfolg, dem verbesserten Stadtbild, aber für die Stadt an sich wünsche ich mir manchmal schon noch eine zusätzliche "dritte Kraft", die ein Großprojekt in die Hand nimmt.

Irgendeinen großen Mäzen, der NUR EINEN der vielen Plätze komplett wiederherstellt und somit die Arbeit der Altstadtfreunde komplettiert.

Hier nur eine Auswahl an Plätzen, deren Reko, jede für sich genommen schon unglaublich wäre:

Hauptmarkt
Obstmarkt
Paniersplatz
Hans-Sachs-Platz
Egidienplatz
Theresienplatz
Fünferplatz
Dötschmannsplatz

ODER:
Einen Teil der Pegnitzpartie!

Das es derzeit in Nürnberg für jeden einzelnen Platz völlig utopisch ist, so etwas auch nur zu denken, davon möchte ich gar nicht reden...
Jürgen
Senior-Mitglied

Beiträge: 370


 

Gesendet: 02:22 - 05.10.2003

Als im Januar 1945 die Brisanz- und Thermithagel des britischen Bomber Command in den alten Kern der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg schlugen und ihn binnen weniger Stunden in eine rauchende Trümmerwüste verwandelten, blieb nahezu ausschließlich das mittelalterliche Verteidigungswerk, die alte Stadtmauer, aufrecht.

Als alles ringsum versank, leistete diese Umwallung unerwarteten Wiederstand. Zwar waren die Holzteile der Wehrgänge verschwunden, die meisten Türme ausgebrannt und die Steine von Splitternarben übersäht - aber die Befestigung stand immer noch und umschloss wie ein steinerner Ring, dachlos und mit leeren oder geköpften Türmen fast noch drohender als früher wirkend, die Trümmerwüste des alten Nürnbergs. (MULZER, 2000)

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Hintergrund Spittlertorturm, vorne Totalverlust eines Grabenturms

Erst viel später hatte man den nötigen Abstand, leidenschaftslos zu zählen: von den 86 Türmen waren 25 unversehrt geblieben, 5 teilweise beschädigt, 32 ausgebrannt und 24 total zerstört. Die Mauer zeigte an 5 kleineren Stellen Breschen, außerdem war der Bogen über dem nördlichen Pegnitzeinfluss eingestürzt, der Tiergärtnertortunnel durchschlagen und eine der 13 Bastionen durch Volltreffer fast völlig zerrissen.(MULZER, 2000)

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Laufertormauer 1946: Vorderer Turm Totalverlust, nächster oben abgebrannt, dahinter Brandruine.

Die bedrückende Liste darf aber nicht vergessen lassen, das die gewaltige Baumasse als Ganzes fast keine entscheidenden Einbussen erlitten hatte.

Es ist ein Ruhmesblatt für die damaligen Verantwortlichen beim Wiederaufbau, das dieses einmalige Zeugnis mitteleuropäischen Festungsbaus erhalten wurde.
Selbst in der Hoffnungslosigkeit im Angesicht der Nürnberger Trümmerlandschaft ging man immer von der Erhaltung und Wiederherstellung der Mauern aus.

Bereits 1966 hatte die Stadt 7 Millionen DM für das Bauwerk ausgegeben – unter Berücksichtigung des damaligen Geldwertes und angesichts der völligen Ertraglosigkeit eine bewunderungswürdige denkmalpflegerische und kulturelle Leistung.

Die Außenmauern der ausgebrannten Türme wurden dabei stets handwerklich aus Sandstein und Backstein ausgebessert oder ergänzt, während der Innenausbau mit Betondecken erfolgte, um eine Nutzung durch Vereine und Künstler möglich zu machen. (MULZER, 2000)

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Einer der am schwersten getroffenen und bis zu einem Stumpf zerbombten Türme: Spittlertormauer No. 1, Zustand 1976 (Backstein hier auch schon vor der Zerstörung)

Als einzige Großstadt in Mitteleuropa besitzt Nürnberg deswegen eine noch fast vollständige Stadtumwallung: Ein Monstrum von einem Baudenkmal, in seiner Mächtigkeit ohne Bespiel in Mitteleuropa und darüber hinaus.
Von ehemals 5 Kilometern Festungswerk existieren derzeit noch 3,8 km.

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Frauentormauer, frühes 15. Jahrhundert

Sicher, Städte wie Carcasonne oder Avila besitzen beeindruckende Beispiele von Stadtumwallungen. Doch die hochgelegene Cite der Bilderbuch-Kleinstadt Carcassonne in Frankreich mit ihrer eineinhalb Kilometer langen Doppelmauer und den 44 spitzen Türmen, besitzt eher den Charakter einer pittoresken Bergfestung. Demgegenüber erschein Avilas zweieinhalb Kilometer lange Zinnenmauer mit den 82 Halbrundtürmen und acht Toren schon gewichtiger: Ein Idealbild einer Stadtbefestigung im spanischen Kulturkreis.

Wie eigenständig hebt sich jedoch hierzu Nürnbergs Stadtumwallung ab. Wie sehr zeigt sie einerseits die ausgeprägte mitteleuropäische Formensprache und andererseits zahlreiche bauliche Besonderheiten:
Die durchgängige Doppelzügigkeit, mit dem dazwischenliegende Zwinger und dem vorgelagerten Graben bildet ein tiefgestaffeltes Befestigungssystem, wie es in solcher Stärke nur selten erhalten ist.(MULZER, 2000)

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Frauentormauer gegen Spittlertor

Das System wurde über die Jahrhunderte hinweg immer wieder – aber nie vollständig - der steigenden Waffenwirkung angepasst: Als Ergebnis zeigen sich heute mittelalterliche Mauerstrecken direkt neben verstärkten („remparierten“) Partien und frühneuzeitlichen Artilleriebastionen.

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Rundbastion und Stadtmauer

Addiert man als nächstes noch die in Resten vorhandene, ältere Stadtmauer hinzu, so ergibt sich ein faszinierendes Bild einer immer weiter fortschreitenden Befestigungstechnik, vom 13. bis hinein ins 17. Jahrhundert.

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Dicker Turm und Grabenwehr am Frauentor

Diese an sich schon interessante Entwicklung wird noch durch Sonderbauten wie Barbakanen oder Waffenhöfe (mit bis zu 60m Durchmesser), Torhäusern, Flussüberbrückungen, Kasematten sowie Rund-, Rechteck- und Spitzbastionen zusätzlich bereichert.(MULZER, 2000)

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Frauentorzwinger gegen Jakobstor

Hohen ergänzenden Reiz fördern auch die zum Teil völlig unterschiedlich bedachten Türme und Türmchen: Von den bis zu 17m im Durchmesser drohenden „Dicken Türme“ bis zu den kleinen, vorgelagerten Grabentürmchen mit gotischen Spitzhelmen, die nach den Erfahrungen des 2. Markgrafenkriegs gegen Fürst Alcibiades jedoch gegen die flacheren Zelt- oder Walmdächer ersetzt wurden.

Die Bandbreite alter baumeisterlicher Phantasie ist überall spürbar.

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Dachformen und -ausprägungen, von links nach rechts(I):
Spittlertormauer 13: „Pfefferbüchsen“
Neutormauer 9: Eckerker
Marientormauer 17: Kreuzerker, auch auf der Rückseite

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Dachformen und -ausprägungen, von links nach rechts (II):
Spittlertormauer 13a: Walmdach mit Querfirst
Grabenturm unterhalb der Kaiserstallung: Runddach
Spittlertormauer 15: Walmdach mit Längsfirst

Gerade diese gewachsene Vielgestaltigkeit entfernt sich wohl am weitesten von den in Reih und Glied stehenden, immer gleichen, dachlosen Zinnentürmen, wie sie das martialisch strenge Bild von Avila bestimmen.

Im Vergleich zu Städten wie Köln, München oder Frankfurt gingen die großen städtebaulichen Veränderungen und Umwälzungen des 19. Jahrhunderts fast spurlos an ihr vorüber.
Auch von den Sprengbomben des modernen Krieges nicht geknackt, sondern aufrecht geblieben, als alles ringsum in Trümmern versank, konnte sich die Stadtbefestigung ihr Gesicht über die Jahrhunderte erhalten. (MULZER, 2000)

Grundsätzlich ist der sichtbare Mauerring eigentlich der dritte und letzte in einer Abfolge von Bauperioden. Dieser legt sich in Trapezform um den Stadtgrundriss, geht von der Burg aus und kehrt zu ihr zurück und überquert zweimal den Fluss. Die Hauptwendepunkte sind mit den berühmten „dicken Türmen“ besetzt.

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Spittlertorturm

Von der frühesten Verteidigungslinie aus dem 12. Jahrhundert sind leider keine sichtbaren Reste mehr vorhanden, im Gegensatz zur zweiten Linie, die sehr gut nachvollzogen werden kann.
(Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die Existenz dieser frühesten Verteidigungslinie als nicht 100% gesichert gilt.)

Entstanden ist dieser zweite Befestigungsgürtel wohl seit Beginn des 13. Jahrhunderts, eine außerordentlich starke, noch heute verfolgbare Umwallung.

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Zweiter Befestigungsgürtel

Weißer Turm, Schuldturm, Henkersteg, Laufer Schlagturm sind die heute noch sichtbaren Zeugen dieser zweiten Befestigungsanlagen. In ihrem oberen Bereich im 15. und 16. Jahrhundert verändert, zeigen sie im Unterbau noch jene altertümliche, strenge Mauerfügung der damaligen Zeit.

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Dachform Weißer Turm

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Dachform Schuldturm

Durch stetigen Aufschwung der Stadt war der Rat bestrebt, auch die äußeren Vorstädte mit in den Ring einzubeziehen. Deswegen wurde1346 der Bau des Spittlertors begonnen, 1377 der des Laufertors, 1388 stand das Frauentor und um 1400 war der ganze äußere Mauerring vollendet.
Der vorgelagerte Graben wurde jedoch erst 1427 begonnen und war 1452 fertiggestellt.
Jeder Hausbesitzer hatte daran jährlich je einen Tag zu arbeiten.


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Grabenbuch 1430

In den Jahren1538 bis 45 wurde durch den Italiener Fazuni mit der Anlage eines gewaltigen Systems von Basteien rund um die Burg begonnen, das auch die Schaffung von zwei neuen Toren mit einschloss (Vestnertor und Tiergärtnertor).

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Fazuni Bastei

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Dürer, Befestigung der Städte(1527), Schnitt durch eine Bastion

Anmerkung: Die Befestigungsweise war zwar nicht von selbst Dürer angeregt, deckt sich aber im wesentlichen mit der in seinem Buch „Über die Befestigung der Städte, Schlösser und Flecken“ beschriebenen.

In den 1520er Jahren wurde parallel mit dem Bau und der von Anlage großen, runden Bastionen zwischen dem Laufer- und dem Maxtor begonnen.

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Rundbastion am Maxttor, angefügt 1527

Der Angriffskrieg des Markgrafen Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach brachte der Stadt schwerste Verluste. Nürnberg wurde zwar nicht eingenommen, ein großer Teil der reichsstädtischen Siedlungen wurde jedoch niedergebrannt.

Diese Erfahrungen veranlassten den Rat der Stadt, zwischen 1556 und 1564 die Stadtumwallung modernisieren zu lassen. Markanteste und bis heute sichtbare Veränderung: Um die 4 eckigen Haupttürmen wurden runde Steinmäntel gelegt.

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Alter Spittlertorturm mit rundem Steinmantel, 1557

Die eigenartig trotzigen Türme, die auf ihren Plattformen zahlreiche Geschütze trugen, sind bis heute ein Wahrzeichen der Stadt.

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Geschütz-Plattform, Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert

Neben den nachfolgenden beiden Verstärkungen des Mauergürtels (durch Anlagen von einer Bastei am Neutor und der Wöhrdertor - Basteien) ist noch die Anlage von vorgelagerten bastionsartigen Erdwerken durch den Schwedenkönig Gustav Adolf im Dreissigjährigen Krieg zu erwähnen. Er bereitete sich in Nürnberg auf seine gewaltige Schlacht mit Wallenstein an der Alten Veste vor.

Dieser letzte Mauerring hat also prinzipiell die lange Zeit vom 14. bis ins 17. Jahrhundert zu seiner Vollendung gebraucht. Deswegen ist es umso erstaunlicher, das er als architektonische Einheit wirkt.

Vom 15. bis hinein ins 19. Jahrhundert, existierten nur sechs Tore (Frauentor, Neutor, Laufertor, Spittlertor, Tiergärtnertor, Vestnertor), ansonsten nur einige wenige Türlein, kleinere Mauerdurchbrüche im Wall (zB Wöhrder Türlein).

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Dritter (heutiger) Befestigungsring

Bei den Toren handelte es sich um mächtige Anlagen, mit zum Teil noch erhaltenen geräumigen Waffenplätzen, starken Torhöfen und Verdoppelung der Mauerführung an diesen Stellen. Über dem Graben lagen Zugbrücken.
Jahrhunderte lang waren diese bestehenden Mauerdurchbrüche die einzigen in dem gewaltigen Festungsbollwerk.

Der Verkehr drängelte und quetschte sich ausschließlich durch diese Tore.

Das 19. Jahrhundert brachte zwar im Vergleich zu anderen Großstädten wenig Veränderungen an der Befestigung, führte aber trotzdem zu einer Reihe von neuen Toren, die hauptsächlich von Bernhard Solger im streng neugotischen Stil ausgeführt wurden.

1848 wurde das Färber- oder Walchtor und das Königstor geschaffen (dort seid ihr bei unserem Treffen vom Bahnhof her in die Altstadt gelangt, links ist heute der schöne Glaswürfel), 1856 das Maxtor und 1859 das Marientor. Von den teilweise verspielt wirkenden, anmutigen neuzeitlichen Toren ist leider keines mehr erhalten, alle wurden nachträglich wieder abgebrochen.

Von vorneherein keine Gnade hatte das 1886 zur Entlastung neben dem mittelalterlichen Torhaus errichtete historisierende äußere Spittlertor. Nach dem Verschwinden der sieben kurzlebigen Torbauten Bernhard Solgers hatte es sich als einzige größere neugotische Zutat im Mauerring bis nach dem Krieg behauptet. Heute würde man wohl von einem wichtigem Zeugnis historisierender Gestaltungskraft sprechen.
1964 hatte das Tor keine Freunde und wurde nur wegen einer Einbiegespur in Trümmer gelegt.(POLLMANN, 1997)

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Äußeres Spittlertor, bis 1964

Das nun verbreiterte Mauerloch erhielt auf Vorschlag des Landesamts für Denkmalpflege eine frei erfundene, hölzerne Wehrgang Brücke. Als 1979 der Spittlertorbereich Fußgängerzone wurde, errichtete man lediglich ein mannshohes Mäuerchen, um die im 19. Jahrhundert entstandenen Lücke wieder symbolisch zu schließen.(POLLMANN, 1997)

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Äußeres Spittlertor, IST-Zustand

Nicht anders erging es dem Walch- oder Färbertor.
1848 ebenfalls von Solger errichtet, sollte es das durch die Bevölkerungszunahme entstandene ansteigende Verkehrsaufkommen besser steuern helfen.

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Färbertor, Aufnahme von Johann Hahn 1871

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Färbertor, Zeichnung von A. Mattenheimer, 1882

1891 wurde das Tor abgebrochen und an dessen Stelle ein pfeilerartiger Abschlussturm aus Altsteinen errichtet.
Wie sich dieses Ensemble im Laufe des 20. Jahrhunderts veränderte, zeigt nachfolgende Bildfolge auf:

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Färbertor, 1911

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Das Türmchen am Tiefpunkt, 1950

Nürnberg wird immer schöner:

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Das Färbertor 1956 noch mit Graben und angedeutetem neuen Zwingerturm

[Link zum eingefügten Bild]

2003 mit banalem Kiosk auf eingeebneter Fläche

Man vergleiche die Zeichnung von Mattenheimer: Eine gnadenlose historische Erosion!!
(POLLMANN, 1997)

Wie für so viele andere städtebauliche Aspekte gilt auch hier in Nürnberg: In der unmittelbaren Wiederaufbauphase wurde verantwortungsbewusster mit dem historischen Erbe verfahren. In den sechziger und siebziger Jahren wurde vieles bedenkenloser geopfert:

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Verschüttung des schönsten Teils der Nürnberger Stadtmauer (Bossenquader - Mauerwerk von 1596), 1961

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Sichtbarer Rest im Jahre 2003

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Nürnberg schämt sich seiner Besonderheiten:

"Schöne Aussichten" auf die Stadtmauer, Bollwerk an der Pegnitz, älteste Großbastionierung Deutschlands
(MULZER, 2000)

Bild- und Textquellen:
Dr. Erich Mulzer, Nürnberger Altstadtberichte Nr. 25, 2000;
Harald Pollmann, Nürnberger Altstadtberichte Nr. 22, 1997;
Dr. Wilhelm Schwemmer, Nürnberg, K. Ulrich Verlag, 1971;
Friedrich Kriegbaum, Nürnberg, Deutscher Kunstverlag, 1944;
Michael Diefenbacher, Rudolf Endres, Stadtlexikon Nürnberg, W.Tümmels, 2001
______________________________________
PeterBerlin
Bronzenes Premium-Mitglied

Beiträge: 584


 

Gesendet: 02:58 - 05.10.2003

@jürgen

"Aber die ALtstadtfreunde haben in ihrer 30-jährigen Geschichte immer die These vertreten, lieber punktuell an vielen Stellen der Altstadt zu wirken, als ein großes Projekt zu verwirklichen und dann finaziell erschöpft zu sein.

Ich finde, dass dieser Weg richtig gewesen ist, man sieht es am Erfolg, dem verbesserten Stadtbild"

Absolut richtig! Es leuchtet ein, lieber überall präsent zu sein - weil unsere Arbeit ja auch im Wesentlichen eine "Verhindertungsarbeit" ist, mag ironisch klingen, mein ich aber ernst.
Und zwar eine destruktive "Moderne" verhindern; alles weitere muss dann erstmal warten können, denn wenn umgekehrt schon mal ein Betonkubus wieder irgendwo steht, ist es definitiv zu spät. aber, ins pellerhaus könn ich mich schon verlieben...!!

jo mai, dös pellerhaus is fei super,
host mi??!!


also, das ist einfach eine unheimlich schöne Architektur. Und überhaupt die ganzen Bilder die du von Nürnberg gepostet hast, ich kann nur wiederholen: eine märchenhaft schöne Stadt! Nürnberg muss zweifelsohne heute auch schön sein, aber das VOR 1945 war eben noch nmal ein völlig anderes Kaliber.....oder net???!


(an besseres, freili!)
Jürgen
Senior-Mitglied

Beiträge: 370


 

Gesendet: 03:17 - 05.10.2003

@peter
Ja, ein anderes Kaliber in dem Sinne, dass 1945 ein neunhundertjähriges städtebauliches Kontinuum einmaliger Art endete, das bis dato eine nur von der Evolution bestimmte Stadtentwicklung innehatte.

Die Einwohner empfanden dieses Ereignis der Zerstörung damals in ihrer ganzen Bedeutung. Die Frage nach der Art des Wiederaufbaus des Stadtkerns hatte in Nürnberg - ebenso wie an vielen anderen Orten - eine ganz besondere, zentrale Bedeutung.

Man war sich im allgemeinen klar,das ein Wiederaufbau der Stadtmitte, anders als in den Außenbezirken, nicht nur vom funktionalen her bestimmt sein konnte.

Werte der Tradition, des städtischen Selbstverständnisses und der gemeinschaftsbildenden Individualität spielten ebenfalls eine Rolle.

Trotzdem hat dieser gesamte Aspekt im Nachkriegsdeutschland und bis heute wenig wissenschaftliche Beachtung gefunden.

UNd was in den sechziger/siebziger Jahren kam, wissen wir alle - reden wir besser nicht mehr davon...

Grüße nach Berlin
Oliver
Senior-Mitglied

Beiträge: 491


 

Gesendet: 12:33 - 05.10.2003

Vielen Dank, Jürgen für diese wunderbare
Einführung in die Stadtbefestigungs-
geschichte Nürnbergs.
Diese mächtigen Verteidigungstürme
und Mauern sind schon einzigartig
für eine Großstadt in Deutschland.
Meist wurden diese ja in früheren
Jahrhunderten geschleift oder es
gibt nur noch winzige Reste dieser
Verteidigungsanlagen.
Ich denke, sie wurden deshalb nicht
entfernt, weil die Stadt und ihre
Bevölkerung immer ihre mittelalterl.
Bedeutung kannte und stolz auf diese
vergangenen großen Zeiten Nürnbergs
war.
Heute haben sich diese Menschen in
Eurem Verein zusammengefunden, die
so zusagen die Nürnberger Tradition
vom Bewahren des Alten weiterführen.
Die Nürnberger der früheren Jahrhunderte
wären mit Sicherheit stolz auf Euch
und auf Eure hervorragende Arbeit.

Und zum Glashaus. Dieser Architekt
hat damit eindeutig gezeigt, daß ihm
die Geschichte Nürnbergs total egal
ist. Das werden die Nürnberger schon
früher oder später korrigieren.
Da bin ich mir absolut sicher.



Norimbergus
Stammgast

Beiträge: 82


 

Gesendet: 15:22 - 05.10.2003

@Jürgen:
Schöner umfangreicher Beitrag. Einige Fragen hätte ich aber noch.

Zum einen schreibst Du von der zweiten und der dritten Stadtbefestigung. Üblich ist doch eigentlich, von der vorletzten und der letzten Stadtbefestigung zu sprechen, da man nicht sicher weiß, ob es vor der vorletzten wirklich noch eine weitere gegeben hat. Man ist sich zwar schon ziemlich sicher, gefunden hat man davon aber, soweit ich weiß, noch nichts, auch nicht auf dem Grundstück des Wirtschaftsrathauses, obwohl man in diese Grabungen große Hoffnungen gesteckt hat. Oder gibt es doch Beweise für die Existenz dieser Analge?

Desweiteren frage ich mich, wie Du auf den Verlauf der vorletzten Stadtbefestigung zwischen Wasserturm und Tiergärtnertor kommst. Ich habe mal irgendwo gelesen (ich dachte, es wäre im Stadtlexikon gewesen, konnte aber dort keinen entsprechenden Eintrag finden), daß man nicht genau weiß, wie die Mauer dort verlaufen ist. Man vermutet aber einen ziemlich geraden Verlauf. Das Neutor war also früher weiter östlich (wie das Laufertor, das Frauentor und das Spittlertor). Nur das Tiergärtnertor und das Vestnertor sind an der ursprünglichen Stelle verblieben. Wie gesagt, das waren nur Vermutungen. Gibt es inzwischen etwa Indizien dafür, daß die westliche Stadtmauer der Sebalder Altstadt schon immer dort war, wo sie jetzt ist.

Letzte Frage: Gibt es eine Liste (am besten mit Karte), aus der hervorgeht, welche Türme, die im Krieg zerstört wurden, noch nicht wiederaufgebaut sind?
Norimbergus
Stammgast

Beiträge: 82


 

Gesendet: 15:28 - 05.10.2003

Edit:

Das Neutor war also früher weiter östlich (wie das Laufertor, das Frauentor und das Spittlertor).

Das Laufertor, das Frauentor und das Spittlertor standen natürlich nicht weiter östlich, sondern das Laufertor weiter westlich, die beiden anderen weiter nördlich. Ich wollte eigentlich sagen, daß die Tore vorher näher zur Stadtmitte standen und im Zuge der Stadterweiterung weiter nach außen verschoben wurden.
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 19:21 - 05.10.2003

hui, jürgen!

super beitrag!
Jürgen
Senior-Mitglied

Beiträge: 370


 

Gesendet: 20:24 - 05.10.2003

@antiquitus @norimbergus @oliver und alle anderen
Erst mal Danke für euer Lob! Zu Deinen drei Fragen bezüglich der Stadtmauer:

Den Verlauf der letzten Befestigungslinie habe ich aus dem Buch "Nürnberg - historische Entwicklung einer Deutschen Stadt" von Kriegbaum und Schwemmer.
Wenn das nicht der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Untersuchungen ist, bitte ich diesen hier zu ergänzen.
Anbei die Kartendarstellung, aus der der Verlauf entnommen wurde:

[Link zum eingefügten Bild]

Wie gesagt, wenn es neuere Erkenntnisse gibt, immer her damit. Nürnbergs Stadtgeschichte ist so umfangreich, wer kann das schon behaupten, über alles Bescheid zu wissen...

Bezüglich dem Begriff der ersten, zweiten, dritten Stadtbefestigung: In der Literatur stößt man zwar auf viele Stellen, die das Vorhandensein einer ersten Befestigung annehmen, dennoch steht dieses nicht zu 100% fest.

Ich selbst gehe subjektiv davon aus - nachdem in der Literatur an so vielen Stellen immer wieder davon gesprochen wird – und habe es deswegen erwähnt.

Man sollte die Stelle aber besser, das wäre korrekter und wissenschaftlicher, weglassen und dann natürlich auch von einer letzten und vorletzten Befestigung sprechen.(Ich muss mal mit @Dirk zwecks Editierung sprechen)

Ergänzungen und aktuellere Erkenntnisse sind mir immer gerne willkommen, ich sehe das ganze bei mir kontinuierlich als Lernprozess, vieles ist mir noch unbekannt, deswegen immer ein „Danke“ für die Anmerkungen.

Bezüglich Deiner Anfrage, ob es eine gesamte Zusammenstellung von derzeit nicht vorhandenen Stadtmauer-Türmen gibt: Mir nichts bekannt, was die Gegenwart abbildet, gerade als Kartendarstellung. Gab es sicher schon einmal in der Vergangenheit. Aber der aktuelle Stand? Ich glaube nicht, müsste man selbst erstellen.

Allgemein kann man sagen, das sich unter den vielen Türmen, die nicht wieder aufgebaut wurden, ein große Anzahl von vorgelagerten Grabentürmen befindet, die damals wahrscheinlich bei verkehrsplanerischen Vorhaben im Wege standen.

Nachfolgend ein Turm am Hübnerstor, im Vergleich zu anderen zerstörten Turmbauten der Stadtmauer noch in einem recht passablen Zustand nach dem Krieg.

[Link zum eingefügten Bild]

Dieser wurde jedoch entfernt und fehlt also derzeit.
Der von mir gezeigte Grabenturm (dort wo jetzt der Kiosk steht) am Färbertor ist ein weiteres Beispiel.

Grüße
Norimbergus
Stammgast

Beiträge: 82


 

Gesendet: 23:24 - 05.10.2003

@Jürgen:

Für den Kriegbaumschen Verlauf spricht natürlich, daß dort heute Straßen verlaufen. Beim Rest der vorletzten Stadtbefestigung ist das ja auch so (den kann man ja sehr gut am Stadtplan nachvollziehen).
Den Text, den ich eigentlich gesucht habe, habe ich leider nicht gefunden, aber einen anderen, der zwar nicht den Mauerverlauf wiedergibt, aber den Standort (und somit überhaupt die Existenz) des inneren Neutors, was ja einen anderen Mauerverlauf zur Folge hat. Allerdings ist dort ausdrücklich von einer Vermutung die Rede.

Stichwort: Stadttore und -türlein
Neben den fünf Haupttoren ((->) Frauentor, (->) Spittlertor, (->) Neutor, (->) Tiergärtnertor, (->) Laufer Tor) und dem zur (->) Burg führenden (->) Vestnertor gab es in rst. Zeit zwei Einlässe für Fußgänger ((->) Hallertürlein, (->) Wöhrder Türlein). Die (->) Fernhandelsstraßen nahmen ihren Ausgang bei den fünf Haupttoren, unter denen der (->) Torzoll erhoben wurde. Für das Öffnen und Schließen waren die (->) Torsperrer zuständig. Bis auf das Tiergärtnertor, das noch der vorletzten (->) Stadtbefestigung angehört, hatten die vier anderen Tore ältere, stadteinwärts gelegene Vorgänger, die mit dem Bau der letzten Stadtumwallung nach außen vorgeschoben wurden. Zur eindeutigen Bezeichnung wurde zwischen den inneren und äußeren Toren unterschieden. So stand das alte, 1498 abgerissene Innere Frauentor an der Stelle der (->) Mauthalle, während als Standort des Inneren Neutors die Stelle, an der sich (->) Radbrunnengasse, (->) Lammsgasse, (->) Irrerstraße und (->) Neutorstraße treffen, vermutet wird; das Innere Spittlertor befand sich beim (->) Weißen Turm, ebenso beim (->) Laufer Schlagturm das Innere Laufer Tor. Neben diesen beiden noch bestehenden Tortürmen sind für die vorletzte Stadtmauer auf der (->) Sebalder Stadtseite weitere Tore bzw. Durchlässe belegt: das Fröschtor ((->) Fröschturm), das (->) Ledertürlein, das Maler- oder Molertor (Ausgang der (->) Heugasse nach Süden) und das Judentor (südlich des ehem. (->) Judenviertels) sowie das (->) Irrertürlein. Zwischen 1556 und 1564 erhielten die vier Tortürme - Frauentorturm, Spittlertorturm, Neutorturm und Laufertorturm - mit einer meterdicken runden Ummantelung ihre heutige charakteristische Form. Seit der Mitte des 19. Jh. entstanden nach Mauerdurchbrüchen sieben zusätzliche Tore (1848: (->) Färbertor, (->) Kasemattentor, 1850: (->) Königstor, 1856: (->) Maxtor, 1859: (->) Marientor, 1863: (->) Westtor, 1866: (->) Ludwigstor), die jedoch aufgrund des wachsenden Verkehrs schon einige Jahrzehnte später wieder eingelegt wurden (wie u.a. auch das Laufer Tor). Weitere Mauerdurchbrüche und Überbrückungen bzw. Einfüllungen des (->) Stadtgrabens ließen neue Straßenverbindungen und Fußgängerdurchlässe zwischen der (->) Altstadt und den Vorstädten entstehen ((->) Sterntor, (->) Kartäusertor, (->) Jakobstor, (->) Fürther Tor, (->) Hallertor, (->) Wöhrder Tor, (->) Hübnerstor); auch diese Stellen werden offiziell als 'Tore' bezeichnet, obwohl hier nie wirkliche Tore bestanden haben.


Für die Existenz einer weiteren Befestigung vor der Vorletzten, die ja sehr wahrscheinlich, nur nicht ganz gesichert ist, spricht auch der Straßenname Füll:

Stichwort: Füll
(...) Der Straßenname verweist vermutlich auf die 'Auffüllung' eines alten (->) Stadtgrabens im Rahmen der Stadterweiterung. (...)

Damit kann ja nicht die vorletzte Stadtbefestigung gemeint sein. Egal wie der Mauerverlauf nun war, die Füll lag sicher schon damals in der Stadt.

Zu den noch immer nicht wiederaufgebauten Türmen: ich hatte auch schon das Gefühl, daß es nur noch relativ wenige Grabentürme gibt. Da aber ja auch schon früher Türme abgegangen sind und die Grabentürme auch meist nicht so groß und auffällig sind, war ich mir nicht sicher, ob das wirklich so ist und ob diese Abgänge auf den Krieg zurückzuführen sind. Überprüft habe ich das nämlich nicht.


Nebenbei bin ich bei meiner Suche auf folgenden interessanten Artikel über die Schleifungen im 19. Jh. gestoßen:

Stichwort: Ringstraßenprojekt
Trotz Aufhebung der Festungseigenschaft 1866 ((->) Entfestigung) behielt sich Kg. Ludwig II. (1864-86) für jeglichen Eingriff in die (->) Stadtbefestigung seine persönliche Genehmigung vor. Nach entsprechenden Anträgen des (->) Magistrats erteilte er diese 1874 für die Niederlegung der Mauer zwischen (->) Laufer und (->) Wöhrder Tor und zwischen 1875 und 1877 auch für weite Teile der südlichen, östlichen und nördlichen Stadtmauer, von der, hätte nicht massiver Widerstand die bereits begonnene Niederlegung einzelner Mauerteile unterbrochen, außer der Partie an der (->) Burg nur die vier Rundtürme am (->) Frauen-, Laufer, (->) Spittler- und (->) Neutor stehengeblieben wären. Offenbar gingen die damals von der Stadtverwaltung vorgelegten Planungen für die neuzugestaltenden Plätze vor den vier Haupttoren 'fortschrittlichen' Kreisen der damaligen Bevölkerung nicht weit genug, denn 1879 legte der Bleistiftfabrikant und N Ehrenbürger Lothar Frhr. v. (->) Faber eine Denkschrift mit dem programmatischen Titel 'Die Zukunft N' vor, in der er - gestützt auf ein Gutachten und Illustrationen des Kunstschuldirektors Adolf (->) Gnauth - eine Vision des künftigen N skizzierte: Nach dem Vorbild der Wiener Ringstraße sollte auf dem ehem. Befestigungsring ((->) Altstadtring) eine Prachtstraße im Neorenaissancestil mit weitläufigen Grünanlagen entstehen. Bereits seit 1865 hatte sich allerdings in N heftiger Widerstand gegen das Zerstörungswerk geregt. Für die Erhaltung der Stadtumwallung setzte sich u.a. der Direktor des (->) GNM, August v. (->) Essenwein, als vom Staat aufgestellter Konservator der N Kunstdenkmäler ein, und 1877 beschloß ein Ausschuß des in N tagenden Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine eine Resolution gegen den weiteren Abriß - gleichzeitig die Geburtsstunde des (->) Vereins für Geschichte der Stadt N. Auf die aus ganz Deutschland lautwerdenden Proteste, die letztlich die Ausführung des R. verhinderten, gab der Magistrat schließlich nach. Die bereits genehmigten Niederlegungen blieben weitgehend unausgeführt, nur die zwischen 1848 und 1866 neuerrichteten (->) Stadttore wurden zur Verbreiterung der Straßen wieder eingelegt.

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