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Antiquitus
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Beiträge: 943


Gesendet: 15:07 - 18.08.2004

Die nachfolgenden Beiträge wurden verschoben!
Antiquitus
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Beiträge: 943


 

Gesendet: 15:07 - 18.08.2004

Philon:

Wahrscheinlich ist das hier der falsche thread für meine Überlegungen, aber sei's drum.
Inigo hat m.E. mit seinen Hinweisen nicht ganz unrecht. Ich denke auch, man begreift die ganze Problematik der architektonischen "Moderne" erst richtig, wenn man sie aus ihrer Frontstellung zum "Historismus" begreift. Der Historismus war - ungeachtet der Tatsache, daß er einige großartige Bauten hervorgebracht hat - im großen und ganzen ein Phänomen der künstlerischen Erschöpfung in einer Zeit, die alle früheren Stile, Kunst- und Ausdrucksformen wissenschaftlich-objektivierend erfasst hatte und sich ihrer nach Belieben bedienen konnte.
Hegel hatte nicht umsonst schon in den 1820'iger Jahren das "Ende der Kunst" konstatiert, das grob gesagt darin besteht, daß die Kunst einen immer größeren Anteil an wissenschaftlicher und philosophischer Reflexion in sich aufnimmt und so am Ende von Philosophie und Wissenschaft abgelöst wird. Was der Kunst nach diesem Ende noch übrig bleibt, ist ein virtuoser Umgang mit historischen Formen und Zitaten, etwas relevantes Eigenes vermag sie aber nicht mehr hervorzubringen. In gewisser Weise ist der Historismus, gegen den die Moderne sich gewandt hat genau diese Form von "Kunst nach dem Ende der Kunst": was die Epoche um 1880 charakterisiert ist, daß ihr alle früheren Epochen vollständig präsent sind, aber sie hat auch kein anderes Chakteristikum mehr. Und genau darum besteht ihr Stil in nichts anderem mehr als dem bloßen Zitat der stilistischen Ausdrucksmittel der früheren Epochen, von denen sie wie ein Vampir zehrt.
Die Bauhaus-Moderne hat auf diese Situation nun mit dem durchaus logisch konsequenten Schritt reagiert, Stil und schmückende Formensprache überhaupt abzuschaffen und Gebäude sozusagen auf ihre geometrische Körperhaftigkeit zu reduzieren: daher hat die Bauhaus-Moderne keine Fassaden, Ensembles etc. mehr zustandegebracht, sondern Solitäre, die nur noch aus dem nackten Baukörper bestanden. Insofern war die Moderne tatsächlich ein ungekannter, aber ganz bewußter Bruch mit der Architekturgeschichte: die völlig Präsenz aller bis dahin gewordenen geschichtlichen Stile und Formensprachen im Historismus ist mit der Bauhaus-Moderne in eine totale Negation der Architekturgeschichte als solcher umgeschlagen. Das hatte es allerdings bei allen Brüchen, die die Architekturgeschichte bis dahin nicht gegeben: die Moderne hat nicht den Bruch mit einem bestimmten Stil einer bestimmten Epoche gesucht, sondern mit dem Stil als solchem.
Sofern dieser Schritt in gewisser Weise unvermeidlich war, gebe ich Inigo (der nick würde freilich besser zu einem entschiedenen Verfechter der Klassik passen) recht, wenn er der Moderne einen wichtigen Ort in der Architekturgeschichte zuweist. Es ist aber eben nicht irgendein Ort in der Architekturgeschichte, sondern der Ort, von dem aus zum ersten und zum einzigen Mal in der Architekturgeschichte die totale Negation der Architekturgeschichte gesucht wurde. Diesen Widerspruch auszutragen, ist ihr nie wirklich gelungen.
All das erklärt, warum es so schwierig ist, über die Moderne hinauszugehen, ohne wieder in einem neuen Historimus zu enden: die Moderne hat in gewisser Weise das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, als sie in der Abwehr des Historismus den totalen Bruch mit der Architekturgeschichte vollzogen hat. Damit ist uns für sehr lange Zeit das versperrt (gewesen?!), was zum Beispiel die Renaissance auszeichnet: die bewußte, aus dem Geist der zeit inspirierte anverwandelnde Anknüpfung an eine bestimmte Epoche der Architekturgeschichte (in diesem Fall die antike römische), die eben etwas anderes ist als beliebiges Zitieren.
Wie etwas derartiges allerdings heute aussehen könnte, vermag ich leider nicht zu sagen. Vielleicht wird es nie möglich sein. Umso wichtiger ist mir deshalb das Anliegen der Rekonstruktion der historischen deutschen Stadtlanschaften wie sie bis zu ihrer Auslöschung im 2. Weltkrieg existiert hatten. Je mehr ich den Schritt, den die Moderne getan hat, als unvermeidlich erkenne, umso wichtiger ist es für mich, daß der Bruch mit der Geschichte nicht das ist, was von der Geschichte in unseren Städten dominierend ist. Das Problem unserer Städte liegt für mich daher weniger in der Anwesenheit der Moderne, als vielmehr in der Abwesenheit der Geschichte. Deshalb wird für mich kein noch so schöner neuer Bau jemals das Fehlen eines - vielleicht sogar weniger schönen - gotischen Altstadtviertels ersetzen können. Ich akzeptiere die Moderne als einen wichtigen, Bestandteil der Architekturentwicklung und finde manches sogar großartig, aber ihre Bauten gehören nicht dahin, wo eigentlich der historische, in Jahrhunderten, manchmal Jahrtausenden (siehe Trier oder Köln) gewordene Stadtkern stehen müsste, in dem sich die vielfältigen Epochen der europäischen Geschichte übereinander-"geschichtet" haben. Daß diese Herzen der Städte zerstört wurden, ist nicht die Schuld der Moderne, sondern der angloamerikanischen Bombenkriegsstrategie... daß sie (bislang) nicht rekonstruiert wurden, ist allerdings sehr wohl Ausfluß des modernistischen Ansatzes.
So besteht vielleicht am Ende doch eine untergründige Parallele zwischen Churchills und Harris' praktischer Vernichtung der Geschichte mit Brand-und Sprengbomben und dem theoretischen Bruch mit der Geschichte, der das Selbstverständnis der architektonischen Moderne ausmacht. Das erste ist quasi das pervertierte, praktische Zerrbild des zweiten.

P.S.: Wunderbares Forum - macht weiter so!
Antiquitus
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Beiträge: 943


 

Gesendet: 15:09 - 18.08.2004

Inigo:

@ Philon:
Danke, das ist ungefähr das, was ich sagen wollte, mir fehlte bloß das Fachwissen und die Disziplin, eine so lange Abhandlung zu schreiben.
Mein Nick resultiert aus meiner Bewunderung für Inigo Jones, der meiner Ansicht nach der größte englische Architekt war und ein wichtiger Wegbereiter des Klassizismus in Europa.
Ich akzeptiere zwar (im Gegensatz zu einigen anderen Personen hier) die Moderne als eigenständigen Stil und bewundere auch die Meisterwerke, die Gropius, Mies vd Rohe etc hervorgebracht haben, aber ich halte sie wegen ihrer mangelnden Kommunikationsfähigkeit und dem geringen Identifikationspotential, das sie bietet, nicht für die geeignete Lösung städtebaulicher Probleme.
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 15:09 - 18.08.2004

Philon:

Vielen Dank! Ich dachte mir, daß Inigo Jones der Namensgeber war.
Ich kann das vollkommen unterschreiben, was du im letzten Absatz sagtst. Die Bauten der klassischen Moderne sind eben im Grunde als gigantische abstrakte Skulpturen angelegt. Das macht manche von ihnen zwar großartig, aber es begründet auch, warum sie letztlich nicht fähig sind, Stadträume zu formen. Sie sind autistisch wie Monaden. Im übrigen finden sich in den wiederaufgebauten Städten der 50'iger bis 70'iger Jahre auch nur wenige wirklich gute Beispiele der klassischen Moderne. Das meiste ist unsägliche Massenware, die man nicht betrauern müßte, wenn einer weitreichenden Rekonstruktion der Altstädte weichen würden.
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 15:10 - 18.08.2004

Antiquitus:

philon,
willkommen im forum.
deinem vorletzten beitrag kann ich nur zustimmen. allein die bewertung der sog. moderne würde seitens meiner vielleicht insgesamt etwas negativer ausfallen.

dass du über einen kommenden stil rätselst eint dich ja mit vielen. meine sichtweise darauf ist etwas einfacher.
hat sich bisher nicht jeder stil aus dem fleisch des vorherigen entwickelt? ich denke schon. und eben hierbei hat die selbsternannte moderne ihren größten fehler gezeitigt. sie hat sich selbst noch aus dem fleisch des alten genärt, doch dabei versucht, kein fleisch für den nächsten zu bilden. dieser historische egoismus wird sich einst rächen.

ich bin noch sehr unentschieden, wohin die mode steuert. dass auswüchse wie der dekonstruktivismus aber nicht mehr als eintagsfliegen sein können, deren kapitel in den stillexika der kommenden epochen nur noch einen rang unter ferner liefen haben werden, das weiß ich sicher.

Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 15:11 - 18.08.2004

Philon:

@Antiquitus
Herzlichen Dank für deinen Willkommensgruß!

Ja, tatsächlich ist das wohl das größte Problem der Moderne (und nicht nur der architektonischen), daß sie ihr Selbstverständnis im wesentlichen aus dem Bruch mit der Überlieferung bezieht.
Der Unterschied zu früheren Brüchen ist aber, daß sie sich nicht gegen eine bestimmte Epoche richtet (wie sich z.B. die Renaissance gegen die mittelalterliche Baukunst gerichtet, dafür aber an die Antike angeknüpft hat), sondern gegen Überlieferung schlechthin. Daher rührt die Sackgasse, in der wir gegenwärtig stehen.
Der Dekonstruktivismus ist ein interessanter neuer Dreh in dieser Spirale, indem er auch noch das Element aufzusprengen versucht, das aus dem modernen Bruch mit der Überlieferung als architektonische Grundkategorie herauskam, nämlich den auf seine geometrische Grundform reduzierten Baukörper.
Insofern ist er "antimodernistisch" und hypermodernistisch zugleich, in dem Sinn, daß er die Negationsbewegung der Moderne gegen die Moderne selbst wendet. Er verbleibt dabei aber in der Negativität, dem "Dekonstruieren" eben, setzt aber nichts an die Stelle des Dekonstruierten. Und macht damit die "Sackgasse" im wahrsten Sinn des Wortes sichtbar. Und insofern ist er kein Ausweg.
Worin der allerdings bestehen könnte, darüber bin ich auch ratlos. Einem neuen, vereinfachten Klassizismus wie er heute teilweise schon in Berlin gebaut wird, kann ich eigentlich auch nicht so viel abgewinnen. Er ist doch häufig noch dem Solitär-Ansatz vehaftet, wenn auch in etwas abgemilderter Form. Wirkliche Stadträume formen sich daraus bislang noch nicht.
Das gilt übrigens schon für viele klassizistische Bauten des 19. Jahrhunderts. Insofern ist es kein Zufall, daß gerade der preußische Klassizismus des 19. Jahrhunderts eine der wichtigsten Inspirationsquellen der Bauhaus-Moderne war.
Interessanter fände ich da eine Anknüpfung an den Jugendstil und vor allem an den Expressionismus, von dem es leider nur sehr wenige Beispiele gibt, und über den Expressionismus an die Formensprache von Gotik und Romanik. Und das vielleicht in Verbindung mit einer Neuinterpretation traditioneller Bautechniken wie Fachwerk- oder Ziegelbau. Aber wie gesagt: wie das aussehen könnte, weiß ich selbst nicht.

Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 15:11 - 18.08.2004

Roy Batty:

@ Philon


Ich schon. So untätig war ich nicht während meiner bisherigen Studentenzeit, daß ich nicht ein paar Vorstellungen hätte, wie so etwas aussehen könnte.

Übrigens hast du meine Zustimmungen zu deinen Ausführungen; bin froh, daß sich hier einer noch für die "vormodernen" Gestaltungsformen begeistern kann, anstatt einen wesensfremden Klassizismus zu adaptieren.
Ein paar Ergänzungen habe ich allerdings hinzuzufügen, was die Attitüde der Bauhaus-Modernisten anbetrifft:

Der Gedanke, grundsätzlich mit dem "Stilbegriff" aufzuräumen, kam erst nach der Jugendstilperiode, nach Ende des 1. WK's auf. Man sieht bei vielen bisher expressiven Architekten(um 1910 hatte der praktikablere vorexpressive Stil den Jugendstil bereits weitgehend abgelöst)um 1920 eine sehr straffe Kehrtwende zu einem völlig reduzierten Bauen, ohne jegliche formbildende oder stilistische Vorbilder.
Die Bauhäusler, die zu jener Zeit noch expressive(!) Gedanken vertraten, waren erst zwei jahre später so weit, die aufgekommenen Vorstellungen(welche sich ab 1900 nur sehr vereinzelt und mit Restornament bei Solitären äußerten)einer totalreduzierten Bauweise in konkreten Projekten zu verarbeiten.

Es war also gar nicht das "Bauhaus" der eigentliche Urheber(sondern eignete es sich an und verbreitete es auf die ganze Welt....ein Microsoft der Architekturgeschichte :shoot:), sondern es war die grundtiefe Erschütterung aller bisheriger Kultur durch den 1. Weltkrieg.
D
iese ungekannte Erschütterung gab der neuen Bauweise eine verhängnisvolle Richtung, man könnte sagen, das schrecklichste Jahrhundert der Menschheitsgeschichte nahm man in der Architektur vorweg, nachdem man im Krieg ein bißchen von dieser Zukunft gekostet hatte. Alle bishgerige, vermeintlich überholte (nationale wie regionale )Kultur(die, im Sinne der Feindschaft zwischen den Nationen, verantwortlich gemacht wurde für den Krieg) sollte abgelöst werden durch die totale Massenkultur, unter der man sich sowohl in den kapitalistischen wie auch den neuen sozialistischen Systemen eine kollektivistische Note inne war. Das 20. Jahrhundert war das des im 19. Jahrundert erdachten Kollektivismus(der sich rasch zum Totalitarismus schärfen sollte) und der Kapitalismus in seinen Erscheinungsformen ist bzw. war davon nicht ausgenommen.

"Eine umfassende Kollektivierung wird es in jedem Falle geben; die Frage wird nur sein, ob sie mit Geld oder dem Maschinengewehr herbeigeführt wird!"
George Orwell

Und gleichzeitig zu diesem Vorstellungswechsel bildete sich auch eine ganz neue Elite heran, die bzw. ihre Gedsanken, im wesentlichen bis heute den Lauf der Dinge bestimmen.


Insofern unterschied sich der kulturrevolutionäre Bauhaus-Modernismus ganz erheblich von dem gemäßigten der Expressionisten.
Denn in den expressiven Grundgedanken der Architekten nach 1900 war lediglich vom Bruch mit den bisherigen, antikisierenden Stilen die Rede; einem Bruch den ich auch heute noch begrüßen könnte....ja wenn man sich auf die Fortführung der eigentlich volksmäßigen Bautraditionen in einem expressionistischen Gewand und in hoher Anfertigungsrate besonnen hätte.
Bis zum 1. Weltkrieg schien man in Deutschland genau auf diesem Weg zu sein und nach dem Krieg, als Parallelerscheinung zur "Weißen Moderne", ebenso(bis der Expressionismus auch von rechts als "entartet" angegriffen und durch den klassisch-reduzierten-orientierten "Heimatstil" ersetzt wurde).
Abgesehen von Ausnahmeerscheinungen("echter Expressionismus")achtete man doch auf eine Wiederverwendung überlieferter Bauformen, selbst in einem vergröberten Gewand.

Denn eins muß man mal klar sagen:
Gerade in Deutschland, welches eigentlich nie einen originären ZIERstil hervorbringen konnte, war immer eine Trennung zwischen der reinen Bauform und ihrem stilistischen Gewand erkennbar. Der Stil änderte sich, aber bis zum Aufkommen des Klassizsimus war zumindest beim städtischen Wohnbau das regionale Formprinzip gleichgeblieben. In der Bauform unterscheiden sich beispielsweise gotische und Renaissancebauweise im profanen Bauen in nichts voneinander; lediglich die Giebelverkleidung verleiht dem Gebäude das stilistische Gepräge.
Und auf diese Tatsache wollten die Expressionisten hinaus, indem die (ur)traditionelle Form(in Deutschland vorwiegend längliche, einfache Grundrißform, steiles Dach, meinst Satteldach mit Giebel)als basispunkt für einen neuen Stil genommen werden sollte.

Und das ist genau die Tradition, die nach achtzigjähriger Unterbrechung weitergeführt werden kann und sollte! Deutschland HAT eine Vergangenheit und auch ganz ohne antikisierende Anleihen kann es eine ihm eigene Zukunft hervorbringen. Das heißt nicht, daß es beim Expressionismus der Zwanziger bez. dessen Adaption bleiben muß; ich stelle mir eine allmähliche Weiterentwicklung, auch unter Einsatz neuer Materialien und stilistischer Anleihen aus dem späteren 20. Jahhrundert vor.

Ich wurde mehr oder weniger verständislos gefragt, was denn ausgerechnet die stinkende Plattenbau-DDR dazu beitragen könne. Nun, einiges. Nicht die Bauform als solche, die endlosen grauen Flachdachriegel, welche mit oder ohne Tafelbauweise unsagbar häßlich aussehen. Aber z.B. die vielfältigen und unterschiedlich gefärbten Betonszierteine, angewandt in den Sechzigern und Siebzigern zur Gliederung der aufgelockerten und gesprengten stadträume. Aber an einem "postmodernen" Gebäude würden sie, richtig angewandt, ihren Zweck besser erfüllen. Die Forderungen nach massenkulturgerechter Bauweise haben sich nach den Erfahrungen des letzten jahrhunderts etwas reduziert, aber verschwunden sind sie nicht....was an Tribut früher Wiederaufbau, ideologische Erfordernisse oder Städebauvorstellungen forderten, macht heute die angespannte Kassenlage. Vieles wird in der "Massenproduktion" nicht möglich sein bzw. nur als Solitäre verfügbar. Andererseits zwingt uns die Lage dazu, über die Wiederverwendung vermeintlich totgesagter Fertigungsweisen nachzudenken. In Rostock(Fünfgiebelhaus samt angrenzendes postmodernes Viertel) und in Berlin(Gendarmenmarkt)sieht man sehr eindrucksvoll, zu welchen Leistungen eine industrielle Bauweise fähig ist. In ihrer Wärme und expressionistischen Erscheinung können diese -leider wenigen- postmodernen DDR-Bauten Vorbild sein...natürlich nicht in der Weise, wie sie da geschaffen wurden...hinter der formen- und farbenreichen fassade fängt das alte, monotene Grau wieder an. So Nicht! Aber: es ist nur ein Schritt von da bis zur Verwendbarkeit unter heutigen Bedingen...und den Bedürfnissen unserer Städte, gerade der so geschundenen alten Kerne.
Antiquitus
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Gesendet: 15:12 - 18.08.2004

Philon:

@ Roy Batty
Du sprichst eigentlich genau das aus, worauf ich, glaube ich, eigentlich auch hinauswill. Ich tapse allerdings bislang noch ein bißchen im Dunkeln herum und stelle in verschiedenen Richtungen Gedankenexperimente an...

Was die Rolle des 1. Weltkriegs anbetrifft, gebe ich dir recht. Die Erfahrung dieses Zivilisationsbruchs spielt sicher eine entscheidende Rolle in der gedanklichen Entwicklung und in der Durchsetzung der "klassischen Moderne". Vieles war aber eben schon vor dem Krieg angelegt und im 19. Jahrhundert vorgedacht worden, wie du ja auch richtig bemerkst. Um nochmal meinen philosophischen Bezugspunkt Hegel ins Spiel zu bringen: der hatte in seiner Analyse der jakobinischen Schreckensherrschaft schon den "Furor der alles gleichmachenden Negation" als das Grundcharakteristikum der heruafkommenden Moderne ausgemacht. Die Entwicklung des 20. Jahhunderts hat ihm leider rechtgegeben. (Marx, die Kritische Theorie und die romantische wie die konservative Kulturkritik haben dazu übrigens auch einiges zu sagen!)

Aber um auf die Architektur zurückzukommen: Besonders interessant fand ich deine Ausführungen zur Aufspaltung von Bauform und stilistischem Gepräge in der deutschen Architektur, ich würde da allerdings teilweise sogar noch den Barock einbeziehen.
Gibt es denn von deiner Seite Entwürfe, an denen man sehen könnte, wie deine Überlegungen sich in die Praxis umsetzen?

Antiquitus
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Gesendet: 15:13 - 18.08.2004

Antiquitus:

roy batty,
danke für den schönen aufsatz!

es ist schon richtig, dass die deutschen zu keiner älteren zeit einen eigenen nationalen und epochalen stil hervorgebracht haben. das erhellt sich aber schnell bei einem blick auf die geschichte. der begriff "deutschland" und damit auch der des deutschen stammt grob aus der zeit des hrrdr - genauer ist es mir momentan nicht präsent - und bezeichnete die summe der zusammenhängenden mitteleuropäischen gebiete, die von germanischen, i.w.s. "deutsch" sprechenden stämmen besiedelt waren. allgemein bekannt ist aber, dass die damaligen deutschen ansonsten nur wenig gemein hatten, da sie aufgespalten waren in zahlreiche kleine und kleinste "verwaltungseinheiten". vor der reichsgründung 1871 gab es keine deutsche nation und es fehlten schlicht die gemeinsamkeiten zur herausbildung eines "nationalen" stils. wenige jahrzehnte nach der entstehung der nation stellte sich ja dann auch umgehend der erste deutsche stil und exportschlager ein: das bauhaus. es erfüllt einen nicht gerade mit stolz, dass ausgerechnet der bisher mindeste baustil aus deutschen gefilden stammen muss.
es bleibt freilich anzumerken, dass bereits ab den freiheitskriegen gegen die französischen besatzer von national gesinnten deutschen fieberhaft nach einem nationalen stil gesucht wurde. der große schinkel, welcher nicht nur die farben an seiner klassik vergessen hatte, meinte auch irrtümlicherweise, in der gotik den eigentlichsten deutschen baustil entdeckt zu haben. immerhin muss man zugeben, dass die deutschen, wenngleich sie jene auch nicht erfunden haben mögen, sie doch zu vielleicht größter perfektion brachten - aber darüber muss man mit den franzosen streiten.
was uns die föderale geschichte gut lehrt ist dass es sehr wohl immer eine deutsche art zu bauen gab, aber eben nicht _den_ deutschen baustil. deshalb halte ich es auch für falsch, zu sagen, dass deutschland nie einen originären zierstil hervorbebracht hat (vielleicht verstehe ich aber auch das wort anders): deutschland hat eine mannigfaltige pluralität regionaler stile hervorbebracht. in diesem sinne waren wir immer reicher als vergleichbare zentralistischere länder wie frankreich. gerade im süden deutschlands, einschließlich der deutsch besiedelten gebiete im heutigen österreich, gibt es einen unvergleichlichen schatz an regionalen stilen. ich weiß nicht, ob man diesen zierformen einen vorwurf daraus machen kann, dass ihre grundformen vielfach gleich sind. die möglichkeiten, ein haus _vernünftig_ zu bauen, sind begrenzt, weshalb sich schon daraus eine grundkontinuität bzgl. der reinen bauform ergibt.
ich finde, wir sollten gar nicht erst einen einzelnen deutschen (wobei immer die frage zu klären ist, ob wir deutsch im sinne von national, also bezogen auf die brd, oder bezogen auf abstammung und kultur, also einschließlich deutsch-österreichs, meinen) baustil suchen, sondern die vielfalt unserer regionalen stile reaktivieren. wenn sich nebenbei ein neuer breiter stil ergeben sollte, auch recht.
zudem bin übrigens auch ich gegen einen hemmungslosen klassizismus. das wäre einfach zu billig und auch unserer langen und breiten geschichte nicht gerecht. da klssizistische gebäude aber i.d.r. gefällig und ästhetisch sind, spricht nichts dagegen, im sinne einer _echten architektonischen pluralität_ (also das gegenteil von heute) mehr solche gebäude zuzulassen - aber mit der auflage, dass es passt. viel jubel über neo-klassizistische gebäude speist sich doch aus der tatsache, dass wenn nicht keine solchen, dann viel viel schlimmere gebäude entstehen würden. sollte sich die lage aber irgendwann stabilisieren, dann muss auf mehr kontextsensitivität wert gelegt werden. denn beispielsweise an einem mittelalterlichen marktplatz mit fachwerkbebauung hat ein klassizistisches gebäude i.a. nichts verloren (glas-stahl-sichtbeton-schuhkartons aber noch unendlich viel weniger!).


Antiquitus
Moderator

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Gesendet: 15:13 - 18.08.2004

PeterBerlin:

Thema Bruch mit der Moderne

Man kann die komplexesten Vorgänge manchmal in die simpelsten und kürzesten Sätze pressen ("was, und das kommt ausgerechnet von dir, Peter?")Diesmal ja, ich muss nämlich gleich weg.

Mit nichts brechen zu wollen (starre Tradionalisten), ist dumm: Denn nicht alles, was "früher" war, war gut. Mit allem brechen zu wollen (Modernisten), ist genau so dumm: Denn nicht alles, was "früher" war, war schlecht.

Die "Moderne" bricht radikal mit Allem. Das ist töricht, die Auswirkungen sind deutlich sichtbar, und sie werden immer sichtbarer.


Antiquitus
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Gesendet: 15:14 - 18.08.2004

Inigo:

Ich finde, das ist eine sehr gute Diskussion, die man vielleicht in ein Extra- Thread verschieben sollte (Admin!), denn mit dem ursprünglichen Thema hat das nichts mehr zu tun.


Zu der Frage eines nationalen deutschen Stils möchte ich folgendes anmerken:
Den hat es nie gegeben (soweit sind wir uns wohl einig) und den sollte es auch nicht geben.
Denn Deutschland IST KEIN Nationalstaat, sondern seit jeher ein Föderalstaat.
Wir können stolz und dankbar sein, dass wir nicht eine einheitliche Kultur haben, sondern viele, die neben- und miteinander existieren:
preußisch, bayrisch, fränkisch, schwäbisch, rheinisch, friesisch, hannoveranisch, badisch,... um nur einige zu nennen. Alle diese regionalen Kulturen haben ihre eigenen Gebräuche und natürlich auch ihre eigenen Baustile.
Ich finde es bedenklich, dass sich Neubauten in Sachsen heute nicht mehr von solchen im Rheinland oder in Hessen unterscheiden. Deswegen ist der Ruf nach einem nationalen Stil mehr als gefährlich. Ich möchte, wenn ich nach Norddeutschland komme, Backsteinhäuser mit Reetdächern sehen und in Bayern die typischen langgestreckten, flachgedeckten Häuser mit den vielen Balkonen.
Ein nationaler Stil, so schön er auch sein könnte, würde erstens unsere Geschichte negieren und zweitens eine städtebauliche Monotonie nach sich ziehen, die fast so schlimm wäre, wie das, was die Moderne derzeit anrichtet.

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