Architectura Pro Homine - Forum für Klassische und Traditionelle Baukunst - www.aph-forum.de.vu

    

 · Home · Impressum & Datenschutz · Suche

Seiten mit Postings: 1 2

zum Seitenende

 Forum Index —› Diskussion —› Was zählt zu klassischer und traditioneller Baukunst?
 


Autor Mitteilung
DP10
registriert

Beiträge: 6


Gesendet: 01:06 - 04.04.2004

Dies ist ein Forum für traditionelle Baukunst. Doch was genau ist eigentlich traditionelle Baukunst...und welche Epoche aus der Geschichte gilt es eigentlich zu erhalten. Tatsache ist wir leben in Städten (in Europa) die 500 bis 1000 Jahre alt sind und in diese Jahrhunderten gut und gerne 10 bis 20 verschiedene Stadtgesichter hatten.

Offensichtlich bezieht man sich bei dieser oft sentimentalen Diskussion auf die Bilder deutscher Städe aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Warum aber geht man nicht weiter zurück. Waren deutsche Städte nicht schon im 16., 17. und 18. Jahrhundert (und vielleicht sogar schon früher) sehr ansehlich. Mich würde interessieren (als Laie auf diesem Gebiet) wo man den Masstab für "zeitgemässe" klassische Architektur ansetzt...im barocken Zeitalter? In der Renaissance? Im gothischen Zeitalter?

Oder vielleicht ist es romanische oder vielleicht sogar klassische römische oder griechische Archtitektur
die wir zu unserem Masstab machen sollten. Es steht für mich ausser Frage, dass es in all diesen Epochen qualitiv überaus wertvolle Beispiele von Baukunst gab.

Warum aber gehen wir oft nur bis zum 19. Jahrhundert zurück. Etwa weil dies uns noch vertraut ist? Vielleich auch weil dieser der Höhepunkt des Klassizismus war? Oder vielleicht sogar einfach weil unsere photographischen Dokumente nur soweit zurückreichen?

Irgendwo in diesem Forum hatte ich einen Kommentar über Leipzig gelesen, der aussagte, dass die Leipziger in dem glücklichen Umstand sind noch beide klassischen Rathäuser zu besitzen. Dabei wurde leider nicht bedacht, dass es vor dem "Neuen Rathaus" auch mal eine Pleissenburg gab. Warum also sollte man nicht zum Beispiel diese Pleissenburg wieder errichten.
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


 

Gesendet: 01:36 - 04.04.2004

Klassische Baukunst ist für mich im speziellen jede Form der Architektur, die sich in irgendeiner Form zumindest andeutungsweise auf antike Vorbilder bezieht bzw. einer von diesen beeinflußten Epoche/Strömung angehört. Das bezieht sogar noch die Postmoderne mit ein, obwohl sie eigentlich nur einen ironischen Bezug auf diese Vorbilder nimmt.
Bei der Definition Traditionelle Architektur wird es schon schwieriger, hier würde ich von Architektur sprechen die sich speziell zu einem regionaltypischen und - zwar immer wieder abgewandelten, aber insgesamt klar identifizierbaren - über lange Zeiträume währenden gestalterischen Charakter/Schema/Leitbild zuordnen läßt oder zumindest auf diesen Bezug nimmt.
Sicherlich bildet der Historismus des späten 19./frühen 20.Jhdts einen großen Schwerpunkt, unabhängig von dessen Qualität, weil er vor allem unsere Großstädte bis heute am deutlichsten prägt und wegen seinem gestalterischen Reichtum und der Vielfalt sehr beeindruckt. Und als Orientierung auch am nächsten liegt wenn es darum geht, in einer neuen, zeitgemäßen Form wieder klassisches Formenrepertoire in die Architektur aufzunehmen.
DP10
registriert

Beiträge: 6


 

Gesendet: 05:43 - 04.04.2004

So es geht um die Andeutung, dass wir uns (gesellschaftlich und architektonisch) an die Griechen anlehnen.

Sind sie sich im klaren, dass die grossen Baumeister der Renaissance, des Barocks sowie des Klassizismus eigentlich auf dem Holzweg waren weil sie glaubten die Römer hätten ihre Architektur selbst erfunden und das nur weil sie nie selber in der Lage waren die Stätten der griechischen Antike selber zu besuchen.

Griechische Architektur ist wohl eine der beeindruckensten Formen der Architektur die die Menschheit gesehen hat. Wenn man sich griechische Tempel wie das Parthenon einmal genauer schaut ist man einfach nur überwältigt mit welchen Tricks dort effektvoll gearbeitet wurde.

Leider sieht man von dieser puristisch erstaunlichen Architektur in den darauffolgenden Jahrhunderten nur noch sehr wenig. Leute wie Palladio, Schinkel und einige andere ausgewählte erkannten die visuellen und proportionellen Schönheiten dieser Architektur. Aber leider waren das nur die wenigsten. Leider muss man feststellen, und dass ist wohl im klaren Kontrast zu der hier verbreiteten Meinung, dass der Grossteil der "klassizistischen" Bausubstanz nicht mehr ist als billige Kopie der grossen Vorbilder ist. Säulen, z.b., verlieren grossteils ihre Bedeutung als strukturelle Elemente. Das sich aus dieser grossteils "billigen" Bausubstanz dann ein gewisser romantischer Charakter ableitet ist sicherlich auch interessant.

Im übrigen würde ich mich interessieren ob desweiteren Technologie, gesellschaftliche und politische Aspekte auch Einflüsse auf "traditionelle Baukunst" haben.

Oder ist "traditionelle Baukunst" nur pure Ästhetik?
Bewacher
Mitglied

Beiträge: 215


 

Gesendet: 11:46 - 04.04.2004

"Klassische Baukunst ist für mich im speziellen jede Form der Architektur, die sich in irgendeiner Form zumindest andeutungsweise auf antike Vorbilder bezieht bzw. einer von diesen beeinflußten Epoche/Strömung angehört. Das bezieht sogar noch die Postmoderne mit ein, obwohl sie eigentlich nur einen ironischen Bezug auf diese Vorbilder nimmt."

Na schön, da ich sowieso oft dieses Thema anspreche...
Also in der Architekturgeschichte gab es genauso Zeiten der Anlehnung an die Antike (wie Renaissance, Klassizismus) wie auch die Suche nach neuen Stilen, z.B. die Gothik, Barock, Jugendstil, Art Deco - manchmal mit ein paar Anlehnungen, aber auch mit sehr viel Kreativität. Kann mich jemand überzeugen, die meisten Jugendstilhäuser würden schlecht aussehen?

Leider wurde die Suche, die Kreativität von der Architektenschaft eingestellt, indem die das Kästchentum (den sog. "Modernismus") zum Ewig Gültigen Dogma erklärt hat. Ich glaube nicht, daß die Menschheit just in diesem Bereich für ewige Zeiten eine Erstarrung und langweilige Uniformität hinnehmen wird - irgendwann kommen neue Versuche, neue Stile...

Ich könnte mir sehr wohl Motive der modernen Kunst (mit dem Hochstaplertum nicht verwechseln!) auf den Fassaden vorstellen - ob S.Dali oder H.R.Giger - natürlich kaum in einer identitätstiftenden Altstadt aber z.B. im Düsseldorfer Hafengebiet... Es müssen auch nicht immer Motive aus den antiken Märchen sein - wir haben ja inzwischen eine moderne Mythologie - also z.B. Motive von den Filmen "Alien" und "Spezies" (H.R.Giger) anstelle der griechischen Göttinnen...
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


 

Gesendet: 16:16 - 04.04.2004

Ich habe bewußt von "irgendeiner Form" gesprochen, und das schließt eben auch zB Gotik, Barock, Jugendstil mit ein. Auch hier findet man trotz aller Neuerungen Elemente die auf antike Vorbilder zurückgehen, seien es ornamental verzierte Elemente wie Fries oder Säulenkapitell, Wandgliederung usw., im Jugendstil historisierende Adaptionen, angelehnt an Barock oder Klassizismus.
All diesen Baustilen war in variierter Form der Einsatz von schmückender Ornamentik gemein. Deswegen ist der Bruch den die Moderne vollzogen hat der radikalste und für die Entwicklung der Baukunst gleichzeitig fatalste in der Geschichte der Architektur, das Anliegen dieses Forums ist, das aufzuzeigen.


PS: Ja, es ist eine sentimentale Diskussion, bedenklich wäre es wenn sie ohne Sentimentalität geführt würde. Angesichts des traurigen Zustands speziell unserer Städte kann ich niemanden verstehen der keine Sentimentalität entwickelt.

"Dabei wurde leider nicht bedacht, dass es vor dem "Neuen Rathaus" auch mal eine Pleissenburg gab. Warum also sollte man nicht zum Beispiel diese Pleissenburg wieder errichten."

Es geht nicht um Erhalt oder Wiedererrichtung des Alten um jeden Preis, ein klassisches Mißverständnis. Es geht darum, ob ein Neubau dem vorangegangenen sowohl in baulicher Qualität, Ästhetik und künstlerischer Ausführung ebenbürtig, oder sogar überlegen ist.
Selbstverständlich muß dabei auch die historische Bedeutung eines Vorgängerbaus beachtet werden, allerdings ist es sicher leichter zu verschmerzen wenn dieser, wenn schon beseitigt, zumindest durch ein in den genannten Punkten adäquates Bauwerk ersetzt wird.
Für die Rekonstruktion eines Bauwerks gilt dieselbe Abwägung, jedoch noch ergänzt durch die Frage nach vorhandener Dokumentation des jeweiligen Orginalbaus.

"Leider muss man feststellen, und dass ist wohl im klaren Kontrast zu der hier verbreiteten Meinung, dass der Grossteil der "klassizistischen" Bausubstanz nicht mehr ist als billige Kopie der grossen Vorbilder ist."

Daß zB der Historismus die Vorbilder imitiert wird ja gar nicht verleugnet, die Frage ist nur ob diese Imitation im Ergebnis nicht überzeugender ist als die sogenannte "ehrliche" Architektur, die Material und Konstruktion in den Vordergrund stellt. Dekoration war immer die schöne Verblendung der Funktion. Gottfried Semper, eigentlich ein Gegner des Historismus, sah das Ideal "moderner" Baukunst darin, "die Tendenzen der Renaissancearchitektur" fortzubilden.
Selbst wenn nur die Nachahmung ein Weg der Fortführung ist, es ist ein besserer Weg als radikale Vermeidung auf Kosten der Ästhetik.
H. C. Stössinger
Senior-Mitglied

Beiträge: 422


 

Gesendet: 17:25 - 04.04.2004

Heute, nach den Verwüstungen des Krieges und der Moderne, die einen neuen Menschen kreieren wollte den es so aber nicht geben wird - da sein Denken und Handeln auch weiterhin von der Subjektivität seiner Emotionen gelenkt wird - ist der Begriff für neue "klassische" und "traditionelle" Architektur im Zeitalter der Industriellen Fertigung hauptsächlich im Ästhetischen zu suchen. Schaut man sich die kalten und entseelten Nachkriegssiedlungen an mit ihren großen sozialen Problemen, dann erkennt man, dass der ästhetische Hintergrund heute wichtiger ist als je zu vor.
Rösch
Senior-Mitglied

Beiträge: 343


 

Gesendet: 22:22 - 05.04.2004

Oder ist "traditionelle Baukunst" nur pure Ästhetik?

Um bei letztem Punkt zu beginnen: Ästhetik ist ein wesentlicher Punkt in der Architektur, aber nicht der ausschließliche. Funktion und Statik eines Gebäudes sind in der Architektur elementar und zweckgebunden. Der Glaube, genau aus diesen 2 letztgenannten Säulen der Architektur würde sich zwangsläufig „gute“ und „ästhetische“ Architektur ergeben, ist aber ein Irrglaube, wie uns die reduzierte und versachlichte Brucharchitektur der vergangenen 80 Jahren zeigt und für sich in Anspruch nimmt modern zu sein.

Von großteils „billigen Kopien“ in Anlehnung an die großen Vorbilder bei klassizistischer Architektur zu sprechen finde ich ziemlich dreist... na ja!!! Solch einer „Wertschätzung“ spricht für sich. Ihr gegenüber muß man sich wohl nicht erklären.

Dass die nachfolgende Baumeister in den folgenden Epochen sich in ihrer Vorstellung eventuell ein falsches Bild machten, ist ihnen nicht vorzuwerfen. Entscheidend ist, wie sie es alle verstanden mit dem Vokabular der klassischen Architektur umzugehen, aus jenem schöpfend Epochen bestimmten, bis zum kläglichen Bruch mit diesem im 20.Jahrhundert.

Geht es deshalb um einegesellschaftlich, architektonische Anlehnung an die Griechen?

Heute geht es darum, an dem wieder anzusetzen, was an Wissen um die traditionelle Architektur seit 80Jahren doktrinär verdrängt wird, um die „moderne“ Brucharchitektur nicht in Frage zu stellen.

Folglich setzen wir dort auch wieder an, wo der Bruch vollzogen wurden. Folgerichtig ist das 19.Jahrhundert und beginnende 20.Jahrhundert auch mitentscheidend bei der Fortsetzung traditioneller Architektur, so wie der letzte Stand eines zerstörten Gebäudes auch bei einer Rekonstruktion maßgeblich ist.

Traditionelle Architektur muß nicht erst neu erfunden werden, wir können auf ihre lange Geschichte zurückblicken und wir dürfen da ansetzen, wo man sie versuchte geistig und schließlich auch noch materiell auszulöschen.
Bewacher
Mitglied

Beiträge: 215


 

Gesendet: 06:43 - 06.04.2004

"Ich habe bewußt von "irgendeiner Form" gesprochen, und das schließt eben auch zB Gotik, Barock, Jugendstil mit ein. Auch hier findet man trotz aller Neuerungen Elemente die auf antike Vorbilder zurückgehen, seien es ornamental verzierte Elemente wie Fries oder Säulenkapitell, Wandgliederung usw., im Jugendstil historisierende Adaptionen, angelehnt an Barock oder Klassizismus.
All diesen Baustilen war in variierter Form der Einsatz von schmückender Ornamentik gemein."


Fassadenornamente gab es noch lange vor der Antike, unter welcher Bezeichnung man meist die griechische und die römische Antike versteht (mein Tipp: British Museum in London besuchen... ). Sie entsprechen dem Grundbedürfnis der Menschen nach Originalität und Identität - genauso wie es einem anderen Grundbedürfnis entspricht, daß die Architekten für ihre Entwürfe bezahlt werden wollen... Man kann doch nicht behaupten, derartige Bedürfnisse wären "überholt"!

Es gab übrigens bereits immer auch ornamentlose Bauten - z.B. in den Armenvierteln oder Wirtschaftsgebäude - so kann man nicht mal behaupten, der Modernismus wäre eine "Neuerung". Man hat bloß in der Krise der 20-er und 30-er Jahre wieder mal auf die einfachsten (vermeintlich billigsten) Formen zugegriffen - nach dem Krieg noch einmal - und dann daraus ein Ewig Währendes Dogma gemacht...
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 15:03 - 07.04.2004

ein aspekt des klassischen wurde bisher vergessen: klassisch heißt nämlich nicht nur, sich auf die klassik zu beziehen, sondern in seiner zweiten bedeutung, zeitlos sein - wie z.b. klassische musik.
deswegen verstehe ich unter klassischer architektur nicht nur den bezug auf die alten griechen, sondern auch das zeitlose bauen.
um ein beispiel zu bringen: ich weiß nicht, wie alt die säule ist, aber sie wird nun schon seit jahrtausenden in unterschiedlichsten varianten aber trotzdem mit der ordnung basis-schaft-kapitell gebaut (reine spargel würde ich nur als säulen in anführungszeichen bezeichnen). solch eine säule ist klassisch. nicht nur wird sie "ewig" gebaut, sie gefällt auch "ewig".
es gibt noch mehr klassische formen, wie etwa konsolen oder giebel.
im weitesten sinn sidn auch alle wirklich alten gebäude - klassiszimus, barock, renaissance, gotik, romanik, ... - klassisch, da sie zum einen den klassischen formenkanon verwenden und zum anderen schon sehr lange stehene und dadurch in gewissem sinn zeitlos werden.

traditionelle architektur ist wie der bame schon sagt architektur mit bezug auf tradition. das ist oft deckungsgleich mit der klassik, z.b. ist es überall in deutschland schon lange tradition, säulenportiken an villen zu bauen. tradition ist aber in der regel viel lokaler, also örtlich. z.b. gibt es gegenden, wo seit jahrhunderten die dächer mit schiefer gedeckt werden, wohingegen andere biberschwänze oder anderes verwenden. dies zu bedenken, ein gebäude so zu bauen, wie es an einem ort typisch ist und dadurch die regionale vielfalt weltweit zu erhalten, das heißt traditionelle architektur.

i.d.r. verbieten sich dadurch auch kontraste. wer in eine gründerzeitliche starßenzeile einen riegel aus glas und stahl klatscht, der baut eben schon dadurch nicht traditionell.

hier ein beispiel für das genaue gegenteil für traditionelles bauen aus architektonischer und städtbaulicher sicht. ein nachkriegsriegel, quer über zwei weggebombte ecken und eine straße gebaut in berlin, ohne rücksicht auf irgendwas:

[Link zum eingefügten Bild]

quelle: bürgerinitiative fasanenplatz berlin
Jörn
Mitglied

Beiträge: 158


 

Gesendet: 15:23 - 07.04.2004

Hey Anti,


also das Foto is ja der Hammer, tz ne nenene :-) Also mir feheln ja echt die Worte
Norimbergus
Stammgast

Beiträge: 82


 

Gesendet: 21:34 - 08.04.2004

Antiquitus schrieb:
klassisch heißt nämlich nicht nur, sich auf die klassik zu beziehen, sondern in seiner zweiten bedeutung, zeitlos sein - wie z.b. klassische musik.

Den Vergleich mit der klassischen Musik halte ich in diesem Zusammenhang doch für etwas unglücklich. Was versteht man denn unter klassischer Musik? Im engeren Sinne ist es die Wiener Klassik, also Haydn, Mozart und Beethoven. Im weiteren Sinn, wie der Begriff normalerweise verwendet wird handelt es sich um eine Musik die aus der Kirchenmusik und der höfischen Musik hervorgegangen ist, also eine gewissermaßen elitäre Musik (im Gegensatz zur Volksmusik). Hier kann man durchaus Parallelen zur Architektur finden, indem man die Volksmusik mit der dörflichen Architektur (Bauernhäuser, Fachwerk) und die klassische Musik mit der Architektur des Adels und der Großbürger in Beziehung setzt. Der Bedeutungsverlust der Volksmusik hat in der Abkehr von der traditionellen dörflichen und kleinstädtischen Bautradition ihre Parallele.
Nun sehen wir uns mal die Geschichte der klassischen Musik an. Da gibt es gregorianische Gesänge, den Minnesang, Renaissance- und Barockmusik und die Wiener Klassik. Im 19. Jahrhundert sind wir bei der Romantik angelangt, die mit ihren letzten Vertretern (Gustav Mahler, Richard Strauss, Hans Pfitzner) bis ins 20. Jahrhundert reicht. Aber nun kommt der springende Punkt: den in diesem Forum so oft betonten Bruch in der Architektur (den ich zwar sehe, aber nicht in einer solchem Größenordnung wie manch anderer) hat es in der Musik auch gegeben, ich behaupte sogar, in noch viel stärkerem Ausmaß. Arnold Schönberg hat die Tonalität verworfen und die Gleichwertigkeit aller Töne propagiert. Einige Jahrzehnte später ist John Cage den Weg konsequent weitergegangen und hat die Gleichwertigkeit aller Geräusche propagiert und außerdem noch den Zufall als Element der Komposition eingebaut. Aber niemand kommt auf die Idee zu behaupten, das sei keine klassische Musik. Zwar hat es auch hier große Kämpfe und Ablehnung der Neuerungen gegeben, zwar wird die sogenannte Neue Musik von vielen immer noch nicht angenommen oder gar geliebt, zwar haben die Vertreter der Avantgarde ihrerseits ideologische Scheuklappen auf (man denke an die Uraufführung der Nachtstücke und Arien von Henze in Donaueschingen 1956), aber dennoch ist für jeden völlig klar, daß sich diese Musik aus der klassich-romantischen Tradition entwickelt hat und sie lebt auch in diesem Milieu. Demnach müßten auch Bauhaus und Dekonstruktivismus klassische Architektur sein.
Es stellt sich außerdem die Frage: welche Musik außer klassicher Musik gibt es noch? Die Volksmusik habe ich bereits erwähnt, aber der wichtigste Bereich ist die Pop-Musik (im ganz weiten Sinn). Hierfür sehe ich keine parallele Strömung in der Architektur. Andererseits sehe ich in der Einfamilienhaus-Neubausiedlungs-Architektur unserer Zeit keine Parallele in der Musik.

Kurzum: die Parallelen sind sehr vielfältig, aber um das zu erklären, was die meisten hier unter klassischer Architektur verstehen, ist der Begriff klassisch aus der Musik ungeeignet, weil dort gerade die Neue Musik ausdrücklich dazugehört (wenn man mal davon absieht, daß viele Leute Bauchschmerzen haben, den Begriff Klassik im weiteren Sinne zu verwenden. Aber der Begriff E-Musik = ernste Musik ist noch viel blödsinniger und hat sich nicht durchgesetzt).

Seiten mit Postings: 1 2

- Was zählt zu klassischer und traditioneller Baukunst? -

zum Seitenanfang



 Forum Index —› Diskussion —› Was zählt zu klassischer und traditioneller Baukunst?
 



Version 3.1 | Load: 0.003733 | S: 1_2