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Autor Mitteilung
PCfreak
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Gesendet: 19:48 - 13.10.2004

Das Zwillingsparadoxon ist ein Gedankenexperiment, das einen scheinbaren Widerspruch in der speziellen Relativitätstheorie beschreibt. Dabei fliegt einer der Zwillinge mit nahezu Lichtgeschwindigkeit zu einem fernen Stern und kehrt anschließend mit der selben Geschwindigkeit wieder zurück. Aus der Relativitätstheorie folgt nun, dass während der Flugphasen mit konstanter Geschwindigkeit als Folge der so genannten Zeitdilatation jeder Zwilling den jeweils anderen langsamer altern sieht. Nach der Rückkehr auf der Erde stellt sich aber heraus, dass der zurückgebliebene Zwilling älter geworden ist als der gereiste. Dieses scheinbare Paradoxon beruht auf intuitiven, aber unzulässigen Annahmen über das Wesen der Zeit, insbesondere der Gleichzeitigkeit, und auf Vorgängen während des Beschleunigungsphase am Umkehrpunkt der Reise.
Zur Auflösung des Paradoxons im Detail sind folgende zwei Fragen zu beantworten:
• Wie kommt es, das jeder Zwilling den jeweils anderen langsamer altern sieht?
• Wieso erweist sich der zurückgebliebenen Zwillings nach der Reise als der ältere?

Das wechselseitig langsamere Altern der Zwillinge

Zur Beantwortung der ersten Frage betrachte man, wie der zurückgebliebene Zwilling überhaupt feststellt, dass der fliegende langsamer altert. Dazu vergleicht er die Anzeige auf einer Uhr, die der fliegende Zwilling mit sich führt, mit zwei ruhenden Uhren, die sich am Anfang und am Ende einer bestimmten Teststrecke befinden, die der fliegende Zwilling passiert. Dazu müssen diese beiden Uhren aus der Sicht des ruhenden Zwillings natürlich auf die gleiche Zeit eingestellt worden sein. Der fliegende Zwilling liest zwar bei den Passagen die selben Uhrstände ab, wie der ruhende, er wird aber einwenden, dass seiner Ansicht nach die Uhr am Ende der Teststrecke vorgeht.
Ursache ist der Umstand, dass es nach der Relativitätstheorie keine absolute Gleichzeitigkeit gibt. Die Gleichzeitigkeit von Ereignissen an verschiedenen Orten und damit auch die angezeigte Zeitdifferenz von zwei dortigen Uhren wird von Beobachtern, die sich mit verschiedenen Geschwindigkeiten bewegen, unterschiedlich beurteilt. Eine genaue Betrachtung der Verhältnisse zeigt, dass die wechselseitig beobachtete Verlangsamung der Zeit daher nicht zu einem Widerspruch führt. Hilfreich sind dazu die vergleichsweise anschaulichen Minkowski-Diagramme, über die sich dieser Sachverhalt grafisch und ohne Formeln nachvollziehen lässt.
Die wechselseitige Verlangsamung steht in Einklang mit dem Relativitätsprinzip, das besagt, dass alle Beobachter, die sich mit konstanter Geschwindigkeit gegeneinander bewegen, völlig gleichberechtigt sind. Man spricht von Inertialsystemen, in denen sich diese Beobachter befinden. Würde einer der Zwillinge tatsächlich langsamer altern als der andere, wäre diese Gleichwertigkeit verletzt.


Die Umkehrphase des reisenden Zwillings


Zur Beantwortung der zweiten Frage ist die Abbrems- beziehungsweise Beschleunigungsphase zu betrachten, die für die Rückkehr des fliegenden Zwillings erforderlich ist. Während dieser Phase vergeht aus der Sicht des fliegenden Zwillings die Zeit auf der Erde schneller. Der zurückgebliebene Zwilling altert dabei gerade soweit nach, dass sich nach der Rückkehr auf die Erde kein Widerspruch ergibt. Das Ergebnis nach der Rückkehr steht auch nicht im Widerspruch zum Relativitätsprinzip, da die beiden Zwillinge aufgrund der Beschleunigung, die nur der fliegende erfährt, nicht als gleichwertig betrachtet werden können.
Ursache dieser Nachalterung ist wiederum die Relativität der Gleichzeitigkeit. Während der Beschleunigung wechselt der fliegende Zwilling gewissermaßen ständig in neue Inertialsysteme und bewertet damit auch ständig den Zeitpunkt neu, der aus seiner Sicht gleichzeitig auf der Erde herrscht. Je weiter der Zwilling sich von der Erde entfernt hat, umso größer ist dieser Nachalterungseffekt.


Weg-Zeit-Diagramm. Der Zwilling auf der Erde bewegt sich auf der Zeitachse von A1 nach A3. Der reisende Zwilling nimmt den Weg über B2. Linien der Gleichzeitigkeit aus der Sicht des reisenden Zwillings sind für die Hinreise blau und für die Rückreise rot eingezeichnet.
Die Verhältnisse sind im dargestellten Weg-Zeit-Diagramm einer Reise von A nach B und wieder zurück dargestellt. Die Bahn des zurückbleibenden Zwillings verläuft entlang der Zeitachse von A1 nach A3, der fliegende nimmt den Weg über B2. Jede horizontale Linie im Diagramm entspricht Ereignissen, die aus der Sicht des zurückgebliebenen Zwillings gleichzeitig erfolgen. Der fliegende Zwilling dagegen nimmt beim Hinflug alle Ereignisse auf den blauen Linien als gleichzeitig wahr und beim Rückflug die auf den roten. Unmittelbar vor seiner Ankunft am Ziel B2 befindet sich der ruhende Zwilling aus der Sicht des fliegenden daher bei A2' und erscheint daher weniger gealtert. Während der Umkehrphase, die hier als so kurz angenommen wurde, dass sie im Diagramm nicht zu erkennen ist, schwenken die Linien der Gleichzeitigkeit für den fliegenden Zwilling, und der zurückgebliebene altert bis zum Punkt A2" nach. Während der Rückreise nach A3 scheint der zurückgebliebene Zwilling wieder langsamer zu altern.



[Link zum eingefügten Bild]


Bezug zur allgemeinen Relativitätstheorie


Anders als vielfach behauptet lässt sich das Zwillingsparadoxon vollständig im Rahmen der speziellen Relativitätstheorie auflösen. Aus der Sicht der allgemeinen Relativitätstheorie lassen sich jedoch die Vorgänge tiefergehend interpretieren. So lässt sich ein Bezug zu dem Umstand herstellen, wonach Uhren im Gravitationsfeld an verschiedenen Stellen unterschiedlich schnell gehen. Der fliegende Zwilling könnte seine Umkehrphase dahingehend interpretieren, dass er sich in einem homogenen Gravitationsfeld befindet, gegen das er mit seinem Raketentriebwerk ankämpft, derart, dass er sich ständig an der selben Stelle befindet. Diese beiden Situationen sind in der allgemeinen Relativitätstheorie völlig gleichwertig. Das beobachtete raschere Altern des irdischen Zwillings interpretiert er in diesem Fall damit, dass dieser sich auf einem höheren Gravitationspotential befindet. Aus dem gleichen Grund würde auch ein Bewohner eines Neutronensterns alle Vorgänge an seinem Himmel rascher ablaufen sehen.


Andere Reisewege


Der fliegende Zwilling erweist sich nach der Rückkehr zur Erde unabhängig von den Details seiner Flugroute immer als der weniger gealterte. Das bedeutet, dass die zeitlich längste Reise von irgendeiner Stelle in Raum und Zeit zu einer anderen stets diejenige ist, die mit konstanter Geschwindigkeit, also ohne Beschleunigung erfolgt. In der Relativitätstheorie werden Raum und Zeit zur so genannten Raumzeit vereinigt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem dreidimensionalen Raum und der vierdimensionalen Raumzeit besteht daher darin, dass eine Strecke im Raum die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten darstellt, während es in der Raumzeit dagegen die längste ist. Entsprechend ist auch eine Geodäte in der Raumzeit als die längste Strecke zwischen zwei Punkten definiert.

Zahlenbeispiel

Für eine Hin- und Rückreise mit 80% der Lichtgeschwindigkeit zu einem Stern in 4 Lichtjahren Abstand ergeben sich folgende Verhältnisse: Aus der Sicht des zurückgebliebenen Zwillings sind für Hin- und Rückweg jeweils 5 Jahre erforderlich. Der Faktor für die Zeitdilatation und die Längenkontraktion beträgt 0,6. Das bedeutet, dass der fliegende Zwilling auf dem Hinweg nur um 5x0,6=3 Jahre altert. Dieser erklärt sich diesen geringeren Zeitbedarf damit, dass die Wegstrecke sich durch die Längenkontraktion bei seiner Reisegeschwindigkeit auf 4x0,6=2,4 Lichtjahre verkürzt hat. Da aus seiner Sicht auf der Erde die Zeit auch langsamer verstreicht, scheint auf der Erde unmittelbar vor seiner Ankunft am fernen Stern lediglich 3x0,6=1,8 Jahre verstrichen zu sein. Während der Umkehrphase verstreichen aber auf der Erde aus seiner Sicht zusätzlich 6,4 Jahre. Zusammen mit den 1,8 Jahren auf dem Rückweg sind also auch aus der Sicht des fliegenden Zwillings auf der Erde insgesamt 10 Jahre verstrichen, während er selbst lediglich 6 Jahre gealtert ist.
Nubira
Moderator

Beiträge: 15134


 

Gesendet: 19:52 - 13.10.2004


Das ist ja einfach irre!
Ich hab es mir erst mal kopiert, um es in Ruhe zu genießen.
PCfreak
registriert

Beiträge:


 

Gesendet: 20:23 - 13.10.2004

Da hast du vollkommen Recht! Ich lasse mir es nochmal morgen von meiner Physiklehrerin erklären!
mumbolino
Boardkönig

Beiträge: 1673


 

Gesendet: 01:17 - 14.10.2004

Aha!!!!!
Parabel
Boardjunior

Beiträge: 43


 

Gesendet: 07:57 - 20.10.2004

Echt stark, ich fühle mich an meine Studentenzeit erinnert. Jetzt sage bloß nicht, dass du das alles aus dem Kopf geschrieben hast. Ich dachte immer, hier trifft man nur normale Menschen. Aber bei diesem Thema muss ich ja alles dreimal lesen, bis ich das kapiere. Vielleicht altere ich ja schon (sollte auch mal mit dem Licht-Taxi fahren ...)
Nubira
Moderator

Beiträge: 15134


 

Gesendet: 15:12 - 20.10.2004

Aus dem Kopf hat er es sicher nicht geschrieben, aber PCfreak lässt uns öfter an seinen Hausaufgaben teilnehmen. Hier im Forum sind wirklich lauter normale Menschen, aber viele sind eben so richtig klug!
Darum ist es für mich eben ein "Forum für Computerfragen und mehr"
und deshalb fühle ich mich hier so richtig wohl!

Nubira

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