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 Forum Index —› Allgemeines —› Bundesverfassungsgericht: Vorratsdatenspeicherung abgeschmettert!
 


Autor Mitteilung
Nubira
Moderator

Beiträge: 15134


Gesendet: 20:19 - 02.03.2010

Leitsätze

zum Urteil des Ersten Senats vom 2. März 2010

- 1 BvR 256/08 -

- 1 BvR 263/08 -

- 1 BvR 586/08 -

1. Eine sechsmonatige, vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch private Diensteanbieter, wie sie die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 (ABl L 105 vom 13. April 2006, S. 54; im Folgenden: Richtlinie 2006/24/EG) vorsieht, ist mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar; auf einen etwaigen Vorrang dieser Richtlinie kommt es daher nicht an.

2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die gesetzliche Ausgestaltung einer solchen Datenspeicherung dem besonderen Gewicht des mit der Speicherung verbundenen Grundrechtseingriffs angemessen Rechnung trägt. Erforderlich sind hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes.

3. Die Gewährleistung der Datensicherheit sowie die normenklare Begrenzung der Zwecke der möglichen Datenverwendung obliegen als untrennbare Bestandteile der Anordnung der Speicherungsverpflichtung dem Bundesgesetzgeber gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG. Demgegenüber richtet sich die Zuständigkeit für die Schaffung der Abrufregelungen selbst sowie für die Ausgestaltung der Transparenz- und Rechtsschutzbestimmungen nach den jeweiligen Sachkompetenzen.

4. Hinsichtlich der Datensicherheit bedarf es Regelungen, die einen besonders hohen Sicherheitsstandard normenklar und verbindlich vorgeben. Es ist jedenfalls dem Grunde nach gesetzlich sicherzustellen, dass sich dieser an dem Entwicklungsstand der Fachdiskussion orientiert, neue Erkenntnisse und Einsichten fortlaufend aufnimmt und nicht unter dem Vorbehalt einer freien Abwägung mit allgemeinen wirtschaftlichen Gesichtspunkten steht.

5. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten sind nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienen. Im Bereich der Strafverfolgung setzt dies einen durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht einer schweren Straftat voraus. Für die Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste dürfen sie nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden.

6. Eine nur mittelbare Nutzung der Daten zur Erteilung von Auskünften durch die Telekommunikationsdiensteanbieter über die Inhaber von Internetprotokolladressen ist auch unabhängig von begrenzenden Straftaten- oder Rechtsgüterkatalogen für die Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und die Wahrnehmung nachrichtendienstlicher Aufgaben zulässig. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten können solche Auskünfte nur in gesetzlich ausdrücklich benannten Fällen von besonderem Gewicht erlaubt werden.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 256/08 -
- 1 BvR 263/08 -
- 1 BvR 586/08 -

Verkündet
am 2. März 2010
Kehrwecker
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle

Quelle: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html
Nubira
Moderator

Beiträge: 15134


 

Gesendet: 08:34 - 03.03.2010

Karlsruhe/Wien (pte/02.03.2010/13:30) - Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat heute, Dienstag, die Massenspeicherung von Internet- und Telefondaten in Deutschland gekippt. Zwar wird eine Speicherungspflicht wie durch die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspiecherung vorgesehen nicht in Frage gestellt, doch ist die nationale Umsetzung laut BVerfG-Urteil nicht mit dem Telekommunikationsgeheimnis vereinbar. Die Richter kritisieren unter anderem einen Mangel an Datensicherheit, Verhältnismäßigkeit und Transparenz.

Für Gegner der Vorratsdatenspeicherung ist das Urteil Munition auch über Deutschland hinaus. "Auf europäischer Ebene ist das definitiv ein weiterer Anstoß, über die Richtlinie an sich nachzudenken", betont Andreas Krisch, Präsident der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) http://edri.org , im Gespräch mit pressetext. Auswirkungen könnte die Entscheidung etwa auf Österreich haben, wo die EU-Richtlinie bisher nicht umgesetzt wurde.

Viele Mängel bei deutscher Umsetzung

Das Gericht sieht die Vorratsdatenspeicherung als "schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt". Es verweist darauf, dass trotz Ausklammern der Kommunikationsinhalte bei der Speicherung "bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse" aus den Daten gezogen werden könnten. Entsprechend streng müssen nach Ansicht der Richter die Bedingungen sein, an die sie geknüpft ist. Doch diesbezüglich ortet das BVerfG diverse Mängel in der deutschen gesetzlichen Umsetzung der EU-Richtlinie.

"Es fehlt schon an der gebotenen Gewährleistung eines besonders hohen Standards hinsichtlich der Datensicherheit", heißt es im Urteil beispielsweise. Nicht mit der Verfassung in Einklang sei, dass ein Datenabruf nicht nur in richterlich bestätigten Einzelfällen, sondern grundsätzlich auch ohne Wissen des Betroffenen vorgesehen ist. Ferner betonen die Richter, dass ein Datenabruf nur bei einer "hinreichend belegten, konkreten" Gefahr und wirklich schwerwiegenden Straftaten zugelassen werden darf. Diese müsse der Gesetzgeber genau festlegen.

Vorbildwirkung für Österreich

"Die Nutzung von Daten beispielsweise in Fällen von Urheberrechtsverletzungen hat damit eine klare Abfuhr bekommen", freut sich Krisch über die Ausführungen der Richter. Die Notwendigkeit eines deutlichen Eingrenzens der Straftaten, bei denen ein Datenzugriff zulässig ist, sei wohl auf Österreich übertragbar. Dort wurden seitens der Content-Industrie bereits Nutzungsbegehrlichkeiten im Kampf gegen Filesharer geäußert, >>pressetext berichtete <<

Auf gesamteuropäischer Ebene könnte sich das deutsche Urteil auch über den Umweg Österreich auswirken. Da die EU-Richtlinie von der Regierung in Wien noch nicht in nationalem Recht umgesetzt wurde, läuft ein Vertragsverletzungsverfahren. Nach Ansicht von Krisch wäre es durchaus sinnvoll, in diesem Verfahren auch die Argumentation der deutschen Verfassungsrichter zu verweisen. Das gilt umso mehr, als dass Justizkommissarin Viviane Reding jüngst gegenüber dem Spiegel angekündigt hat, die Richtlinie selbst prüfen zu wollen. (pressetext.de)

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