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 Forum Index —› Architektur allgemein —› Berlin: Projekt Spittelmarkt
 


Autor Mitteilung
H. C. Stössinger
Senior-Mitglied

Beiträge: 422


Gesendet: 00:49 - 30.07.2003

Liebe Freunde!

Seit einer längeren Zeit mache ich mir so meine Gedanken über die Neugestaltung des Spittelmarktes in Berlin-Mitte. Dieser Platz ist ein Paradebeispiel für Stadtzerstörung im Namen einer autogerechten Stadt. Wer die Situation kennt, wird wissen wovon ich rede. Wo es früher lebendige Stadtquartiere gab überquert heute eine acht- teilweise zehnspurige Autopiste die Spree bzw. deren Seitenarm. Mit Wehmut betrachtet man die alten Fotos und fragt sich: Warum? Und da waren es nicht nur die britischen Bomben, sondern in erster Linie Corbusier-Ideen, die die Stadt entvölkert haben. Man sperrte die Buerger in Wohnsilos und suggerierte ihnen den Traum von einer schöneren Welt. Herausgekommen ist eine Stadt der Wohntürme und Großflächen-Parkplätze. Für demjenigen, dem kein Kfz zur Verfügung steht, ist die Beschaffung mit dem Lebensnotwendigen mit langen Fußmärschen verbunden. Städte ohne Infrastruktur. Der öffentliche Stadtraum verkam zu unkontrollierbaren Parkanlagen - er ist für viele nur noch der notwendige Weg zwischen Wohnungstuer und Autotuer - auf dem sich dann allabendlich unsere
lieben Vierbeiner ihrer Notdurft entledigen. Der öffentliche Stadtraum verschwindet immer mehr aus dem Bewusstsein. Dieses fehlende Interesse ist nun der Nährboden für die vielen Experimente moderner Architekten mit katastrophalem Ausgang. Keine Buergerinitiative kann heute soviel Macht entwickeln, um wirklich etwas zu bewirken. In einer Demokratie eigentlich paradox. Dieses Desinteresse am öffentlichen Stadtraum und öffentlichen Stadtmöbeln ist auch die Ursache der vielen vandalischen Zerstörungen. Meine mich lange beschäftigende Frage ist nun, wie kann man diesen Trend wieder umkehren?

Wie kann der Spittelmarkt in zehn bis zwanzig Jahren aussehen, so dass er wieder von den Bürgern angenommen wird? Die Projekte der Stadt empfinde ich als sehr zweifelhaft. Können verstreute Solitärbauten dem Spittelmarkt wieder halt geben? Oder sollte man in alten Dimensionen der kompakten Stadt denken? Eine Stadt anstreben, in der es zum nächsten Supermarkt, zur nächsten Kneipe oder zum nächsten Kino oder Zahnarzt und Post nur ein paar wenige Gehminuten sind. Kann man die Buerger, die sich nun an die Autostadt gewöhnt haben, überzeugen von alten Stadtmodellen?

Die Stadt plant nun die breite Autobrücke abzureißen und den Verkehr über eine verbreiterte Gertraudenbrücke zu lenken - mit Straßenbahnbetrieb Alexanderplatz/Leipziger Strasse. Aber schon hat die Autolobby Protest angemeldet. Autovereine bekämpfen hartnäckig derartige Pläne. "Freie Fahrt für freie Buerger" auf den Rennpisten dieser Stadt! Investoren halten sich auch zurück, weil keiner den Ausgang eines solchen Experiments eines Stadtrückbaus kennt.

"Die Charta von Athen ist nicht länger das Leitbild der europäischen Stadt" war mal auf der HP der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu lesen. Für mich ein klares Eingeständnis für das Scheitern der so genannten klassischen Moderne. Nun die Frage: Wie kann ein Spittelmarkt des 21. Jahrhunderts denn aussehen? Rückbau in traditioneller Weise? Etwas ganz Neues? Welcher Stadttypus hat bis jetzt am besten die Bedürfnisse der Buerger befriedigt? Kann man unter Berücksichtigung des weiter wachsenden Straßenverkehrs alte Strukturen wiederbeleben? In einer hektischen Stadt des Überangebotes an Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, in der kaum noch jemand Zeit zu haben scheint und darum nicht auf sein Auto verzichten kann...

Vielleicht könnt ihr mir ja ein wenig helfen. Da man sich allgemein eingesteht, dass das Experiment der Moderne gescheitert ist - so denke ich - sind jetzt die Traditionisten gefragt. In diesem Forum gibt es eine ganze Reihe gescheiter Leute. Vielleicht könnt ihr mir ja helfen, einen neuen, menschenwürdigen Spittelmarkt zu konstruieren. Den Stadtplanern ein wenig auf die Sprünge helfen. Mich interessieren dabei Ideen und Erfahrungen anderer Städte mit derartigen Projekten. Wie weit Rekonstruktionen Sinn machen. Ob es andere Planungen diverser Stadtentwicklungs- und Architektenbüros gibt. Vielleicht gelingt es uns unter Berücksichtigung der zu erwartenden Verkehrs- und Bevölkerungsdichte und der benötigten Infrastruktur in den nächsten Monaten den Spittelmark zu "reparieren". Stellen wir dabei die Hochhäuser auf der Fischerinsel (Roßstraße) ruhig zur Disposition. Ich denke, vielen von euch wird dazu bestimmt etwas geniales einfallen. Und nehmen wir ruhig Axel F. Osborne, Daniel Goleman und Edward de Bono mit ins Boot - und vergessen mal Scharoun und Le Corbusier! Und den ADAC!

Dass der Spittelmarkt so nicht bleiben kann, da sind wir uns doch alle einig, oder?

Infos zur Historie, zur gegenwärtigen Situation und den Planungen der Stadt gibt es für den Interessierten hier:

http://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/planwerke/de/planwerk_innenstadt/planwerkstaetten/spittelmarkt/

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Wie es einmal war


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So sieht es nun dort aus.


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Gertraudenbrücke heute - mit dem letzten Haus am Platze, welches aus einer Zeit stammt, als die Städte noch für Menschen und nicht für Autos gebaut wurden.


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Und so will die Stadt es machen (gut zu erkennen ist dieses letzte noch stehende Haus an der Gertraudenbrücke)
Pilaster
Stammgast

Beiträge: 97


 

Gesendet: 04:25 - 30.07.2003

O doch bitte nicht ausschliesslich Flachdaecher!

Bezeichnenderweise hat das einzige in der Gegend noch stehende Gebaeude ein wunderschoenes Dach, das ihm Vielseitigkeit und Charakter verleiht.
Ernst
Mitglied

Beiträge: 134


 

Gesendet: 10:21 - 30.07.2003

Die Leipziger Straße und der Spittelmarkt sind wirklich noch knapp vor dem Alexanderplatz das eindrucksvollste Beispiel für mutwillige Stadtzerstörung in Berlin. Grausamer geht es wirklich nicht mehr. Und das mitten im historischen Zentrum!

Ich finde zumindest den Ansatz der städtischen Planungen gut: Die viel zu breiten Straßen werden optisch enger gemacht, Häuser in einem erträglichen Maßstab füllen die Lücken und stellen sich vor die Wohnhochhäuser. Die Schönheit der alten Stadt entsteht so sicherlich nicht wieder. Aber ich kann mir schon vorstellen, daß dort dann wieder der Eindruck einer einigermaßen geschlossenen und halbwegs vielgestaltigen Stadt entsteht. Für mich ist der entscheidende Maßstab immer die Frage: Ist die Planung geeignet, den Ort so angenehm zu machen, daß er Menschen anzieht und sich öffentliches Leben entfalten kann?
Und dazu scheinen mir die Planungen durchaus geeignet zu sein. Wenn man nicht sämtliche bestehenden Gebäude abreißen will, sehe ich auch kaum eine andere Lösung. Über die Gestaltung der einzelnen Häuser kann man immer streiten, aber die erscheint mir an diesem Ort, wo nun wirklich nichts mehr von der alten Stadt übrig ist, fast zweitrangig. Hauptsache es sind genug neue Häuser, sie sind nicht zu groß und stehen an der richtigen Stelle, so daß sich ein halbwegs geschlossenes Ensemble ergibt.
Claus
Mitglied

Beiträge: 164


 

Gesendet: 10:37 - 30.07.2003

@Ernst

Ja,die Verdichtung und Ensemblewirkung der Gegend ist natürlich wichtig.Das ist der erste Schritt,da hast Du recht.Aber genauso wichtig ist die Fasssadengestaltung,da waren wir uns doch bei allen bisherigen Beispielen einig.
Die Moderne hat es bisher nirgends in Deutschland geschafft,die alten Ensembles gleichwertig zu ersetzen.Die Frankfurter Zeil ist auch verdichtet und dennoch ein Albtraum. Warum sind wir sonst so beim Dresdner Neumarkt dahinter,wenn es egal ist,wie man baut?
Es besteht immer die Gefahr,dass dies am Ende auch wieder so ein `place de la beton` wird, mit der Barmer, der Allianz und den Stadtwerken als Hauptmieter,ohne schöne Geschäfte,Bäcker, Metzger usw...
Ich denke, es ist unser Hauptanliegen, traditionelle Architektur al la Lucien Steil oder Krier zu unterstützen???
Berlin hat städtebaulich gesehen, enorme Probleme, da helfen nur radikale Konzepte.Ansonsten wird die Stadt noch in 50 Jahren an ihrem Aussehen rumschustern und darf zum drittenmal von vorne anfangen!!
Ernst
Mitglied

Beiträge: 134


 

Gesendet: 11:14 - 30.07.2003

Man muß im Einzelfall sehen, wie welche Fassade geplant ist. Mein Ziel ist es, maßstabsgerechten, einfühlsamen Städtebau zu unterstützen, der die Tradition und den Charakter einer Stadt respektiert und sie mit Leben erfüllt. Ich mag traditionelle Architektur. Aber wenn sich das Ziel mit den Mitteln moderner Fassadengestaltung erreichen läßt, ist mir das durchaus recht. Ich glaube, man dient der Sache nicht, wenn man an dieser Stelle zu unduldsam ist.
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


 

Gesendet: 17:05 - 30.07.2003

So sehen die Gestaltungsvorgaben für die Bebauung am Spittelmarkt nach der Empfehlung der Gutachter aus:

Gestaltungsprinzipien


Die Architektengemeinschaft Graetz, Jordi, Nöfer hat exemplarisch architektonische Testentwürfe entwickelt, um die Machbarkeit der städtebaulichen und funktionalen Überlegungen zu prüfen. Die Entwürfe und die entwickelten Gestaltungsprinzipien stellen keine architektonische Festschreibung dar, sondern sollen dazu beitragen, eine anschauliche Vorstellung von dem neuen Stadtraum Spittelmarkt – Gertraudenstraße zu vermitteln. Im weiteren Planungsverfahren wird geprüft, welche Gestaltungsprinzipien in den Bebauungsplänen festgesetzt werden, die den späteren, konkreten Entwürfen zugrunde zu legen sind.

"Gesichter" zur Stadt
Die architektonische Gestaltung der neuen Gebäude entlang der innerstädtischen Magistrale soll einen Kontrast zur Dynamik des Verkehrs bilden. Die Fassaden sind vertikal gegliedert. Gebäudeteile werden durch Vor- und Rücksprünge differenziert, punktuell überhöht und geben den Gebäuden ein "Gesicht" zur Stadt.

Perspektive
Die Baukörpergestaltung berücksichtigt die Blickbeziehungen aus den umliegenden Straßen und Plätzen auf die neuen Häuser.

Ensemble
Die Gebäude sollen nicht nur "für sich sprechen", sondern zugleich durch räumliche und visuelle Beziehungen auf ihre Nachbarn verweisen.

Maßstäblichkeit
Die plastische und komplexe Ausformung der Gebäudekörper hebt die Bedeutung des öffentlichen Raumes hervor und bietet dem Betrachter eine hierarchische Abstufung im städtischen Raum:
die Stadt – der Platz – das Haus – die Fassade – der Eingang.

Festigkeit
Konstruktion und Material der Gebäude sollen im Sinne der Nachhaltigkeit und qualitätvollen Erscheinung dauerhaft und fest sein.

Fünfte Fassade
Die Dächer sind als "fünfte Fassade" zu verstehen. Sie sind als leicht geneigte Sattel- oder Walmdächer ausgebildet. Sie nehmen die haustechnischen Installationen auf, so dass von den benachbarten Hochhäusern eine gestaltete Dachlandschaft erkennbar ist.

Städtische Atmosphäre
Läden, Restaurants und Dienstleistungen befinden sich im Sockelbereich der Gebäude und tragen zur städtischen Atmosphäre bei.
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


 

Gesendet: 17:13 - 30.07.2003

Das Büro Nöfer hat auch Testentwürfe vorgelegt, die eine ganz gute Grundlage bilden.

http://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/staedtebau-projekte/spittelmarkt/de/gebaeude/index.shtml


[Link zum eingefügten Bild]
Hotel Leipziger Hof
Leipziger Straße 64-66


[Link zum eingefügten Bild]
Roßstraßenblock
Cöllnischer Fischmarkt 4-6


[Link zum eingefügten Bild]
Haus am Mühlendamm - Projektidee
Fischerstraße 37-42

Dabei darf man natürlich nicht übersehen daß dies nur Entwürfe sind die zunächst lediglich die Gebäudeform ohne Details beschreiben.
Ernst
Mitglied

Beiträge: 134


 

Gesendet: 17:55 - 30.07.2003

Na, bitte. Ist doch ganz nett, oder?
H. C. Stössinger
Senior-Mitglied

Beiträge: 422


 

Gesendet: 18:17 - 30.07.2003

Ich persönlich habe da immer so meine Probleme: Als Camputeranimation oder Pappmodel mögen die Neubauten ganz nett aussehen. Steht man dann schließlich vor dem fertigen Bau, wird man plötzlich von riesigen öden Betonwänden erschlagen - die man vorher so nich bemerkt hatte. Wir brauchen feinere Fassadendetails!
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


 

Gesendet: 18:48 - 30.07.2003

@H.C.
Diese Entwürfe sind noch nicht ausgearbeitet. Fassadengestaltung, Dachgestaltung etc. fehlt noch. Aber Herr Nöfer ist ein Architekt bei dem das ganze in ziemlich guten Händen ist. Er hat auch die Bebauung der Falkoniergasse sowie das bisher schönste Haus am Leipziger Platz entworfen(bereits gebaut?). Beides sind Beispiele für den Versuch, klassische Bauformen aufzugreifen.
H. C. Stössinger
Senior-Mitglied

Beiträge: 422


 

Gesendet: 18:57 - 30.07.2003

@Dirk1975
Naklar, das hoffe ich doch sehr. Man kann aber nicht genug mahnen - Architektenbüros von den Bedürfnissen und Sichtweisen der Bürger zu überzeugen. Dass Herrn Nöfer für Berlin der eine oder andere große Wurf gelingt!

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