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 Forum Index —› Galerie —› Villingen im Schwarzwald - die Zähringerstadt
 


Autor Mitteilung
Anonymous


Gesendet: 00:37 - 26.06.2003

Das Thema "Villingen" möchte ich mit einem typischen Fall für diese Stadt eröffnen.

Das Alte Rathaus präsentiert sich heute - auf Grund einer unglücklichen Entscheidung des Gemeinderates und einer Expertenkommission im Jahre 1999 - mit einfarbigem Anstrich, wie er dem Gebäude einschliesslich einiger nachteiliger baulichen Veränderungen (unter anderem am Treppengiebel)um 1928 verornet wurde.

Zuvor prägte das Gebäude eine prachtvolle Bemalung - in der Tradition des Alten Rathaus - vom Kunstmaler Karl Eyth aus Karlsruhe, die er 1895 fertigte.

1999 feierte Villingen sein 1000jähriges Markt-, Münz- und Zollrecht, sowie den Gerichtsbann. Zu diesem historischen Ereignis sollte die Fassade wieder gerichtet werden.
Der Wunsch nach der Wiederherstellung der Fassadenbemalung von Karl Eyth war in der Villinger Bevölkerung immer noch vorhanden. Malermeister stellten kostenlos ihre Arbeit und Material zur Verfügung. Doch den Bürgern der Stadt machte der Gemeinderat und einige städtische Entscheidungsträger ein Strich durch die Rechnung.Mit allen Mitteln versuchten diese das Vorhaben zu verhindern. Das Museumspersonal und der Leiter der städtischen Galerie meldeten sich zu Wort und forderten eine zeitgemässe Lösung. Ein Fassadenwettbewerb in Höhe von DM 20000,- wurde ausgeschrieben. Mit keinem der Entwürfe konnte man sich im Gemeinderat anfreunden .(Ich möchte mir gar nicht mehr vorstellen, was die vier ausgewählten Künstler an der Fassade fabrizieren wollten - grausam.)
Das Geld war weg und eine Fassade hatte man immer noch nicht.
Ergebnis war , dass die Fassade einen
speckigen Putz und einen einfarbigen Pastellanstrich bekam, der der Geschichte des Hauses nicht gerecht wird. Die heutige Nutzung des Gebäudes im Erdgeschoss als Bürgeramt wäre nicht weiter schlimm, aber die Innenraumgestaltung schreit zum Himmel: grün-blau weissgepunktete Teppiche statt dem alten Sandsteinboden springen einem jetzt entgegen... ein echtes Armutszeugnis wie mit diesem Gebäude umgegangen wird/wurde.

Um ein Bild von der ursprünglichen Fassade zu vermitteln, habe ich hier eine erste Rekonstruktionszeichnung von der tatsächlichen Ausführung angefertigt , die etwas vom ursprünglichen Entwurf abweicht.

das Alte Rathaus heute:

[Link zum eingefügten Bild]



Eine erste Rekonstruktionzeichnung der ausgeführten Fassade des Alten Rathaus in Villingen:

[Link zum eingefügten Bild]
Paul
registriert

Beiträge:


 

Gesendet: 00:39 - 26.06.2003

Tja, anscheinend ist mit unser sogenannten "Demokratie" irgendwas nicht in Ordnung, oder ?
Oliver
Senior-Mitglied

Beiträge: 491


 

Gesendet: 01:44 - 26.06.2003

Sehr schön gemacht Anonymous bzw. ...
Da sieht man erstmal, dass in der
Bauhaus-Zeit die "Verbrecher" überall
ihr unwesen getrieben haben.
Sogar im schönen Villingen. Aber wieso ?
Wieso zerstört man einfach so ein
Kunstwerk ? Weil es im Historismus
angefertigt wurde ? Welch Blödsinn.

@Anonymous
Mir sind bei Deiner Rekonstruktion aber
ein paar Fehler aufgefallen. Oder der
Historismus-Maler wusste nicht genau
bescheid. Und zwar hat man früher die
Wappen des Kaisers (Schwarzer Adler
auf goldenem bzw. gelben Hintergrund)
leicht schräg angebracht.
Das hat einen sehr wichtigen Grund.
Es bedeutet: Der Rat der Stadt verneigt
sich vor dem Kaiser.
In jeder Freien Reichsstadt sieht man
diese "schrägen" Vögel heute noch !

Z.B. beim Roland in Bremen
[Link zum eingefügten Bild]
Rösch
Senior-Mitglied

Beiträge: 343


 

Gesendet: 20:22 - 26.06.2003

@Oliver:

Vielen Dank! Die Fassade des Alten Rathauses wurde, wie gesagt, 1928 mit einem einfarbigen Anstrich versehen.
1999 kam der Wunsch in der Bevölkerung auf, die Fassade bei der anstehenden Renovierung wieder im alten Stil mit der Bemalung herzustellen. Doch vor allem unversiertes Museumspersonal und der Leiter der Städtischen Galerie blockierten das Vorhaben bis zum bitteren Ende. Mir sind heute noch die Worte einer dieser Personen im Ohr: "Wir wollen doch keine Fassade, die die Kaisermonarchie verherrlicht, wir brauchen eine zeitgemässe Lösung..." Eben Ablehnung des Historismus, wie Du es schreibst!

Und so schön ist Villingen leider auch nicht mehr. Obwohl die Stadt im 2.WK keine grösseren Zerstörungen zu beklagen hatte, wurde vor allem nach dem Krieg in den 60er/70er Jahre viele Bausünden begannen. Eine grosse Zerstörungswelle setzte erneut in den 90er Jahren ein, der ganze vorstädtische Bereiche für eine nicht umgesetzte Planung weichen mussten. Auch im Stadtkern wurde in dieser Zeit nochmals vieles zerstört.
Wer als Fremder heute durch diese Stadt läuft, fragt sich, ob hier nicht doch Kriegsschäden zu bemängeln seien...

Selbst die Traditionen dieser Stadt werden immer wieder mit Füssen getreten. Jüngste Entscheidung des Gemeinderates von "Villingen-Schwenningen":

Ein neues Wappen musste her, dass den scheinbar freiwilligen Zusammenschluss der Städte Villingen und Schwenningen nach 30Jahre zementiert.
Der Niedergang Villingens spiegelt sich in diesem Wappen auf treffliche Weise.Nicht nur im Osten der Republik sind also grosse Verluste zu beklagen, auch im äussersten Südwesten!

Das alte
Villinger Stadtwappen von 1530:

[Link zum eingefügten Bild]

Allianzwappen am Alten Rathaus
mit dem Wappen des Reichs, dem österreichischen Bindeschild und dem alten Villinger Wappen

[Link zum eingefügten Bild]


Nach der Zusammenlegung der Städte Villingen und Schwenningen zum Aushängeschild von Baden-Württemberg
wurde bereits am Villinger Wappen abgespeckt:

[Link zum eingefügten Bild]

[Link zum eingefügten Bild]

Ergebnis von 2002:

[Link zum eingefügten Bild]
Cuypers
Mitglied

Beiträge: 110


 

Gesendet: 21:10 - 26.06.2003

Wieso glotz der neue rote "Geier" so blöd auf den Schwan(nach links) und nicht wie auf den alten Wappen nach rechts?
Soll das den Zusammenschluß der Orte symbolisieren?
Ist jedenfalls der erste Bundes-, oder Reichsadler den ich sehe, der nach links schaut.
Oliver
Senior-Mitglied

Beiträge: 491


 

Gesendet: 21:39 - 26.06.2003

@Cuypers
Das ist mit 100%iger Wahrscheinlichkeit
kein Reichs- bzw. Bundesadler.

Diese sind immer schwarz auf goldenem
bzw. gelben Hintergrund und haben rote
Krallen.


Der rote Adler muss irgendwas mit
der Geschichte von Villingen zu tun
haben.
Rösch
Senior-Mitglied

Beiträge: 343


 

Gesendet: 21:44 - 26.06.2003

@Cuypers:

Nur einer von vielen Punkten, den man an diesem Konstrukt bemängeln muss.

Man hatte ursprünglich noch daran gedacht den "Adler" in diesem neuen Pseudowappen wenigsten wie beim alten Wappen nach rechts sehen zu lassen, was aber als Signal gegen das Diktat "Doppelstadt" gesehen wurde. "Dem Adler wurde der Hals umgedreht,damit er sich gen Schwenningen wendet..." so sagt man mit echter Verärgerung über diesen Abklatsch von einem Wappen.

Aufgrund des rationalen und merkantilen Selbstverständnisses der heutigen Gesellschaft ist eben zu erwarten, dass es aus unserer Zeit keine nennenswerten Beiträge zur Weiterentwicklung der Traditionen geben wird. Dies trifft nicht nur auf unsere gebaute Umwelt zu, sondern auch auf ihre Zeichen und Symbole!

Rösch
Senior-Mitglied

Beiträge: 343


 

Gesendet: 22:21 - 26.06.2003

@Oliver
@Cupers:

Der Adler hat nichts mit dem Reichsadler zu tun.
Mit Sicherheit auch nichts mit dem roten brandenburgischen Adler.
Überlegungen, dass er dem Tiroler Wappen entspringt (Villingen war über 500Jahre habsburgisch-vorderösterreichisch)stimmen wohl auch nicht, da Villingen bereits im 13.jahrhundert in seinen Siegeln einen Adler führte.Er stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von den Zähringern,den Gründern der Stadt. Weiter oben in der Fassade des Alten Rathaus findet man in der oberen Fenstereihe links ein kleines goldenes Wappen mit rotem Adler, das Wappen der Zähringer.
Die Erben des Geschlechts der Zähringer waren die Grafen des Hauses Urach-Fürstenberg.Und die Füstenberger übernahmen den roten Adler und verzierten ihn weiter mit einem "Wolkenkranz". Der Adler der Fürstenberger ist bis heute erhalten. Populär wurde das Wappen der Fürsten von Füstenberg durch das gleichnamige Bier aus Villingens Nachbarstadt, der Residenzstadt Donaueschingen.

Das Wappen der Fürstenberger mit dem übernommenen (blau-bewehrten) roten Zähringeradler und dem sog. blauen "Wolkenkranz".

[Link zum eingefügten Bild]


Das Wappen der Fürstenberger, wie man es auch vom gleichnamigen Bier kennt
[Link zum eingefügten Bild]

Nicht desto trotz ist festzustellen, das der Villinger Adler nicht blau, sondern gold bewehrt ist, so wie man es auch vom Tiroler Adler kennt:

[Link zum eingefügten Bild]

Als Villingen 1530 sein verbessertes Wappen mit dem roten Adler von König Ferdinand I erhielt gehörte Villingen schon lange zu den österreichen Vorlanden. Dadurch könnten Einflüsse aus dem Tiroler Wappens durchaus entstanden sein.Der Adler selbst ist aber wohl den Zähringern zu zuschreiben.

Fakt ist aber, dass dieses schöne Wappen von Villingen 472Jahre nach seiner Verleihung der Kommunalpolitik von "Villingen-Schwenningen" geopfert wurde.
Cuypers
Mitglied

Beiträge: 110


 

Gesendet: 22:21 - 26.06.2003

@ Oliver
Das der Adler nichts, oder nur entfernt, mit dem Reichsadler verwandt ist, ist mir auch klar. Trotzdem schauen die meisten Adler auf deutschen Wappen nunmal nach rehts.

@Rösch
Wenigstens muss man sagen, dass der Adler nicht "entartet"(oh welch böses Wort) worden ist. Schau Dir doch nur unseren "genialen" Bundesadler auf unsern Euromünzen und den Adler im Bundestag an. Die "fetten Viecher" haben doch nun garnichts mehr mit dem eleganten Reichsadler zu tun.

Interessant ist hier, dass der englische Architekt Norman Forster, bei seinem Reichstagsumbau den alten Adler für das Plenum vorgesehen hatte!!

Diese Vorhaben wurde vom Bundestag aber mit der folgenden Begründung abgelehnt: "...wir haben uns im laufe der Jahre so an unsere "Bundeshenne" gewöhnt, dass wir diesen "liebenswürdigen" Vogel behalten wollen".
Ich glaube gemessen an diesem Symbol Deutschlands, ist die Diskussion um den Adler in Villingen nur Makulatur, wenn auch symptomatisch.
Cuypers
Mitglied

Beiträge: 110


 

Gesendet: 22:25 - 26.06.2003

Ich meine natürlich Norman Foster und nicht Forster. Forster schmeckt zwar gut, aber hat nicht den Reichstag aufgebaut.
Rösch
Senior-Mitglied

Beiträge: 343


 

Gesendet: 22:36 - 26.06.2003

@Cupers
Wer identifiziert sich noch mit diesem "armen" Land und seinen Symbolen?

Lokale Symbole haben mittlerweile wieder einen wesentlich höheren Stellenwert für die Menschen bekommen. Nimmt man ihnen diese, so wird ihnen in der Tat ein Teil ihrer Identität und Kultur genommen.
Das ist symptomatisch, aber keineswegs Makulatur.

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