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 Forum Index —› Diskussion —› Gesellschaft, Politik und Architektur
 


Autor Mitteilung
Oliver
Senior-Mitglied

Beiträge: 491


Gesendet: 21:17 - 18.08.2004

Diverse Beiträge zielten auf die Verbindung von Politik, Gesellschaft und der Architektur ab. In einem anderen Thema schrieb Roy Batty von dem "gesellschaftlichen Aspekt" der Architektur.
Ich möchte dies gerne näher verstehen,
weil ich mich für Architektur interessiere,
aber kein Architekt bin oder werden
möchte. Vielleicht kann mir das jemand
erklären.


Zunächst möchte ich hier nochmal
meinen Beitrag hineinstellen:

Viele unterstreichen in diesem Forum, die starke Verbindung von Politik und Architektur.
Ist es denn wirklich so ?
Ich denke, "die Politik" baut einfach so, wie es gerade "Mode" ist. Wenn gerade viel mit Glas gebaut wird, dann wird eben das Glas genommen. Ist eine "Steinerne Fassade" en vogue, so ist es sehr wahrscheinlich, daß der neue Anbau eines Bundesministeriums in Stein gebaut wird. Das gleiche gilt für die Bauwerke der Wirtschaft. Sie möchten auf "den neuesten Stand" sein - das ist es ! Kein Politiker oder Unternehmer sieht in seinen Bauten die Demokratie dargestellt oder ein Zeichen für Reichtum !
Wenn sie es doch denken, so wurden sie gut von ihren Architekten "bearbeitet". Dieses alles wird nur von Architekten den potentiellen Investoren eingeredet. Ganz einfach nur deshalb, um das Bauwerk plausibel zu machen. Um es möglichst gut verkaufen zu können. Würden die Architekten sich endlich auf ihr Metier zurückziehen und nicht den angeblichen "geselschaftl. Aspekt" in ihre Bauwerke hineinreden, hätten wir mit Sicherheit viel schönere Projekte, als sie es jetzt in unseren Städten sind. Aber wahrscheinlich haben die Architekten es zu allen Zeiten so gemacht.


Nun möchte, ich noch auf die Frage
von Roy Batty eingehen, wer denn die
"Mode" bestimmt.
Meiner Meinung nach, ist das meist ein purer Zufall. Jemand wagt etwas Neues und andere werden darauf aufmerksam und kopieren dies, weil sie es ganz gut finden. Entweder ist dieses "Neue" dann rein technisch besser als das Alte oder man empfindet das "Neue" einfach schöner als das "Alte". Oder man ist das "Alte" einfach "satt", weil man es zu häufig antrifft. In diesem Fall wird man wohl fast alles "Neue" akzeptieren.
Weißer Wolf
Senior-Mitglied

Beiträge: 463


 

Gesendet: 22:52 - 18.08.2004

Mein Standpunkt:

Architektur gehört aus der Politik herausgehalten. Architektur dient den sinnlichen Freuden der Menschen. Sie trägt dazu bei, dass sich Menschen wohl fühlen. Dass sie sich zu Hause fühlen. Es ist nun einmal so, dass klassische Gebäude unendlich mal schöner sind als jene, welche man "modern" nennt. Nicht umsonst wird die Klassik im allgemeinen als "zeitlos schön" definiert. Sie gerät niemals aus der Mode, weil sie niemals Mode sein wird. Darum ist sie im inneren Verständnis des Menschen, der sich grundsätzlich nach dieser Formensprache sehnt, unvergänglich. Allzeit ewiglich wird man von ihr schwärmen. Wohingegen Architektur, die einem Trend nachläuft, keinen Wert beinhaltet, da diese ein Ablaufdatum besitzt. So lange "Mensch" existiert, werden klassische Formensprachen die Sinne dieser befriedigen und erfüllen, sie anregen und bejahen.

Moderne Architektur vermittelt uns etwas. Sie vermittelt uns die Leere. Wenn wir die Gesellschaft betrachten, sind viele Menschen innerlich sehr leer. Im Bürgertum waren die meisten Menschen ganz im Gegenteil, nicht leer in ihrem Inneren. Das ist die Verbindung die ich von der Architektur auf die Gesellschaft betrachte. Eine Gesellschaft die leblos geworden ist wie die Architektur. Und das ist nicht die meine Meinung, es ist objektive Tatsache. Dies kann man einfach nicht verleugnen. Nur ein einziges Beispiel dazu: Der Wert der Familie der einstmals noch galt, wirkt Heute wie ein schlechter Mief vergangener Tage. Ich frage mich zugleich indem ich mich frage was nur aus der Architektur geworden ist, was denn bloß aus unserer Gesellschaft geworden ist ? Mit Geld und Materialien versucht so mancher jemandem unter die Arme zu greifen. Dies scheint mir das einzige womit sich diese Gesellschaft definiert und das bedeutet für mich, dass sie keine Seele hat. Seelenlos wie monotone Architektur. Und beinahe alle sind sie gleich in ihrer Gleichgültigkeit. Kaum einer interessiert sich für Architektur. Architektur gehört zur Kultur eines Landes. Die Moderne, welche in der Architektur Einzug gehalten hat, mit ihrer Philosophie der Leere, hat ebenso Einzug in die Sozialwissenschaften, die Kunst und die Literatur gehalten. Wundert es denn, dass diese Gesellschaft so kalt geworden ist, nachdem in allen Bereichen, die versuchen diese Gesellschaft zu erziehen, Modernisten sitzen, deren Philosophie die leere Gleichgültigkeit darstellt ?

Wahrscheinlich wird es so sein, dass wenn wir lebendige Architektur haben möchten, diese Gesellschaft zu mehr Menschlichkeit bringen müssen, zu mehr Verantwortung für sich selbst und den nächsten, weil eine Gesellschaft immer vom anderen abhängig ist. Eine Gesellschaft funktioniert nicht, wenn jeder versucht den nächsten fertig zu machen. Wo ist denn die einstige Lebensfreude hin entschwunden ? Wie kann denn in einem Lande, in den Herzen der Menschen, Lebensfreude entstehen, wenn die gebaute Umwelt den Menschen tag täglich zeigt, dass alles leer, gleichgültig, leblos, steril und monoton ist ?

Und damit sage ich ganz klar, dass der historische Baustil zur Selbstverständlichkeit werden muss. Hier und da, kann, darf gewiss ein spektakuläres Gebäude aus Glas entstehen, jedoch liegt genau darin das Problem, dass sie weniger spektakulär als langweilig aussehen.
Oliver
Senior-Mitglied

Beiträge: 491


 

Gesendet: 23:25 - 18.08.2004

Hallo Weißer Wolf,
ich möchte mal einen Satz aus Deinem Beitrag herausgreifen:

Wundert es denn, dass diese Gesellschaft so kalt geworden ist, nachdem in allen Bereichen, die versuchen diese Gesellschaft zu erziehen, Modernisten sitzen, deren Philosophie die leere Gleichgültigkeit darstellt ?

Das verstehe ich nicht. Wie kann mich ein Architekt mit seinem Gebäude erziehen ? Architekten sind doch keine Eltern ? Kannst Du das vielleicht näher erläutern, wie die Architekten das genau dann machen ?

Philon
Stammgast

Beiträge: 90


 

Gesendet: 23:29 - 18.08.2004

Ich habe im thread über "Wünschenswerte Rekonstruktionen" bereits einige Vermutungen über die polit-psychologischen Gründe angestellt, die dazu geführt haben, daß deutsche Städte nach dem Krieg vielfach nicht rekonstruiert wurden.
Was den Zusammenhang zwischen Architektur und Gesellschaft anbetrifft daher nur einige Anmerkungen:
Ich bin nun wirklich alles andere als Marxist (eher Hegelianer), aber beim Thema Städtebau spielen natürlich Gesellschaftsstrukturen und Eigentumsverhältnisse eine nicht ganz unbedeutende Rolle. Die alten Städte sind in einer Zeit entstanden, als Handwerker und Kaufleute das Rückgrat der städtischen Wirtschaft bildeten. Diese Schichten bauten sehr individuelle Häuser auf engstem Raum und meist eher kleinen Parzellen. So kannten diese Städte weder eine räumliche Trennung zwischen Arm und Reich (der reiche Kaufmann lebte oft direkt neben dem armen Handwerksgesellen), noch eine Trennung von Wohnen und Arbeiten.
Diese Grundlage fehlt heute eben. Die heutigen Innenstädte werden im Zuge der ökonomischen Entwicklung immer mehr zu Einkaufs- und Dienstleistungszentren. Was für die Investoren und Bauherren, die in den Innenstädten bauen dementsprechend am profitabelsten ist, sind reine Zweckbauten, die möglichst viel Büro- oder Einkaufsfläche aufweisen. So lohnt es sich für einen Investor, wenn er einen ganzen Straßenblock neu bebauen kann, einfach nicht, eine kleinteilige, vielfältige Wohnbebauung zu rekonstruieren. Viel lohnender ist es für ihn, ein oder zwei riesige Büro- oder shopping mall-Gebäude auf seinen Baugrund zu setzen. Das gilt und galt schon für viele Städte in der Zeit des Wiederaufbaus in den 50'iger und 60'iger Jahren. Da inzwischen viele Menschen eine angenehme Atmosphäre beim "Shopping" haben möchten, werden die allerneusten malls heutzutage ein bißchen verziert und ein bißchen mit älteren Stilelementen versetzt. Am grundlegenden Problem ändert das aber nichts.
Philon
Stammgast

Beiträge: 90


 

Gesendet: 23:35 - 18.08.2004

P.S.: das ist auch der Grund, warum ich die Begeisterung nicht teilen kann, die bei einigen hier aufkommt, wenn irgendwo mal wieder irgendein Büro- oder Shopping-Zentrum mit ein paar klassizistischen Friesen oder Säulchen verziert werden. Das ist nicht die Lösung des Problems, sondern seine Fortschreibung mit ein bißchen Tünche drüber.
Inigo
Novize

Beiträge: 34


 

Gesendet: 23:46 - 18.08.2004

Danke Philon!
Ganz genau das ist es doch: eine Shopping Mall wird um nichts besser, bloß weil man ein bischen Stuck daran klebt.
Guter Städtebau kann nicht heißen, dass man einfach nur alles hinter hübschen Fassaden versteckt.
Guter Städtebau heißt Strukturen zu schaffen, die Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit räumlich eng miteinander verknüpfen.
Oliver
Senior-Mitglied

Beiträge: 491


 

Gesendet: 23:49 - 18.08.2004

Philon,
aber man kann doch nicht davon sprechen, daß das Aussehen der mittelalterl. Stadt was mit der Gesellschaft an sich zu tun hat. Die mittelalterliche Stadt ist doch nur deshalb so entstanden, weil sie eine "Schutzfunktion" hatte. Es gab viele Kriege und deshalb benötigte man regelrechte Stadtfestungen.
Das es so war, das ein armer Geselle direkt neben einem reichen Kaufmann lebte, ist auch sehr unwahrscheinlich. Glaube ich auch nicht. In Nürnberg zum Beispiel war die Alte Reichsstadt zwei geteilt. Es gab einen reichen Stadtteil (das war der Norden mit Burg usw.) und einen ärmeren südl. Stadtteil.
Der einzige Unterschied zu heute besteht einfach nur in der Technik und der Religiosität. Hätte es im Mittelalter die gleiche Technik wie heute gegeben und "keine alltägl. Kriege" und ähnliche religiöse Verhältnisse wie heute, so hätte man wohl sehr ähnlich wie heute gewohnt.

Inigo
Novize

Beiträge: 34


 

Gesendet: 00:23 - 19.08.2004

Ist das Problem denn wirklich die Trennung zwischen Arm und Reich?
Das entscheidende am Mittelalterlichen Stadtmodell war, dass der reiche Kaufmann, ebenso wie der arme Schuster in ihren Wohnhäusern auch ihre Geschäfte/ Werkstätten hatten.
Der morgendliche "Weg zur Arbeit" ist ein Kind der Industriegesellschaft und macht auch nur in Verbindung mit dieser Sinn. Schließlich ist es klar, dass man große Fabrikanlagen nicht dahin bauen kann, wo Menschen wohnen.
In Westeuropa ist aber ein immer größerer Teil der Bevölkerung in Dienstleistungsbetrieben tätig. Und diese haben ihren Sitz nun mal in den Städten.
Es müssten einfach wieder mehr Flächen in den Innenstädten als Wohnraum ausgewiesen werden, um die räumliche Verknüpfung der verschiedenen Lebensbereiche wiederherzustellen.
Ich möchte einmal ein ungewöhnliches Beispiel nennen, nämlich Manhattan.
Diese Stadt ist mit Sicherheit das letzte, was einem traditionalistisch gesinnten Stadtplaner als Vorbild einfallen würde und doch hat sie erstaunlich gute Ansätze.
Wohngebäude machen in Manhattan ein sehr graoßen Anteil an der Gesamtbebauung aus. Die meisten Menschen dort besitzen kein Auto. Sie gehen morgens zu Fuß um ein Blocks zur Arbeit oder fahren notfalls ein paar Stationen mit der U- Bahn. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln besorgen kleine Lebensmittelhändler in den Seitenstraßen. Es gibt zwar auch außerhalb der Stadt die unvermeidlichen Shopping Malls, aber da kaum jemand ein Auto hat, werden sie von den Einwohnern Manhattans nicht genutzt.
Manhattan ist natürlich aufgebläht, laut teuer und hektisch, aber das zugrundeliegende Lebensmodell lässt sich auf mittlere und große Städte in Europa übertragen.
Dazu muss aber die Poltik aktiv werden. Die Bauausschüsse der Städte können nämlich bestimmen, wo Büro- und wo Wohngebäude gebaut werden dürfen. Wenn man die Zahl der für Wohnungen bestimmten Flächen also sukzessive erheblich aufstockt, dann kann wieder bezahlbarer Wohnraum in den Innenstädten entstehen. Dann könnte man sich auch die großen Autoschneisen sparen und würde außerdem den "toten" Büroquartieren entgegenwirken, die ja ein ganz maßgebliches Problem unserer Städte sind.
Oliver
Senior-Mitglied

Beiträge: 491


 

Gesendet: 00:42 - 19.08.2004

Inigo,
um nochmal auf meinen Ausgangsbeitrag zurückzukommen. Mein Problem ist nicht die Trennung von Reich und Arm. Das war nämlich nur die Reaktion auf den Beitrag zuvor. Nein, mein Problem ist, daß Architekten für sich in Anspruch nehmen, die Welt mit ihren Bauten verändern zu können. Augenscheinlich geht das. Aber sie können mit ihren Bauten nicht den Menschen an sich verändern.
Denn wie soll so etwas funktionieren ? Wie soll mit einem Glasbau den Menschen die Demokratie beigebracht werden ?
Es ist schlichtweg falsch so etwas zu behaupten oder derjenige soll mir meine Fragen plausibel beantworten.
Philon
Stammgast

Beiträge: 90


 

Gesendet: 09:42 - 19.08.2004

Hallo Oliver,

"mit Architektur die Welt verändern", das will allerdings jede bewußte Bewegung der Architekturgeschichte: das wollte die Renaissance, das wollte der Klassizismus, das wollte der Jugendstil, das wollte das Bauhaus. Die Frage ist ja nur, in welchem Sinn! Natürlich ist diese Sache mit Glasfassaden=Demokratie die potenzierte Dämlichkeit. Wer so denkt, fällt in unreflektiertester Weise auf eine Metapher rein, und zwar ungefähr so: Demokratie = Transparenz im metaphorischen Sinn (Ich arbeite übrigens bei einem Parlament und kann angesichts meiner täglichen Erfahrungen schon darüber nur müde lächeln). Glasfassade = Transparenz im wörtlichen Sinn. Ergo Demokratie = Glasfassade. Dieser Gedankengang ist so idiotisch, daß er eigentlich schon fast wieder ein guter Witz wäre.

Mein Punkt war allerdings tatsächlich ein anderer: die Frage ist doch, warum heute auf einem Areal, auf dem bis zur Zerstörung in Bombenkrieg und Wiedraufbau 20 oder 30 kleinteilige, sehr individuell gestaltete Bauten standen heute oft nur noch ein bis zwei große Mietshaus-,Geschäfts- oder Büroblocks stehen. Die Antwort darauf liegt einfach in den Besitz- und Wirtschaftsstrukturen. In den alten Städten waren die Erbauer der Häuser diejenigen, die in diesen Häusern dann auch gewohnt und gearbeitet haben (bzw. ihre Nachkommen). Ausgeführt wurden die Bauten meist von anonymen Handwerkern in klassischen Handwerkstechniken.
Heute bauen in den Innenstädten keine Individuen mehr, sondern Konzerne, Investoren, Bauträger, Wohnungsbaugesellschaften. Diese haben kein Interesse an kleinteiliger, individueller Bauweise, sondern an möglichst großen Geschäfts-, Wohn-, oder Büroeinheiten, die möglichst viel Gewinn abwerfen und in möglichst standardisierter industrieller Fertigung erstellt werden. Und das ist nicht erst seit 60 Jahren so, sondern schon seit 140 Jahren, siehe die industrielle Massenware der Mietskasernen aus der Gründerzeit.
Um dem abzuhelfen kann man nur die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern.

P.S.: Die Enge der Bebauung in mittelalterl.-frühnuezeitl. Städte hatte natürlich was mit der Ummauerung zu tun - da gebe ich dir recht.

P.P.S: Nürnberg ist, was "arm und reich" betrifft nun gerade die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Aber selbst am Burgberg (eher "reich") oder der Lorenzer Seite (eher "arm") war die Durchmischung der Schichten noch wesentlich größer als heutzutage, wo du in Berlin z.B. vorstädtische Villenviertel wie Zehlendorf hast oder den "Speckgürtel" um die Statdt und dann andererseits ausgesprochene Problemviertel wie Neukölln oder Wedding.
Und natürlich: es gab in den spätma.-frühneuzeitl. Städten auch ausgesprochene Viertel der ganz Armen und/oder ganz Ausgestoßenen (Juden, Bettelstudenten, Henker, Abdecker, Gerber, Tagelöhner, Prostituierte etc.), aber das hatte mehr soziale und religiöse als ökonomische Gründe und betraf auch nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung. Der Rest der Städte war sehr durchmischt.
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 13:13 - 23.09.2004

zur geographischen aufteilung der einzelnen schichten in nürnberg über die zeit müsste sicher jürgen noch am ehesten etwas sagen können.
ich möchte aber allgemeiner noch etwas zur ausgangsfrage anmerken: der zusammenhang zwischen gesellschaft, politik und architektur könnte größer kaum sein. egal welche epoche wir betrachten, stets entsprang das gebaute aus den gesellschaftlichen und politischen gegebenheiten. das kann ja auch nicht überraschen, denn abgesehen vom architekten, der ein gebäude ja nur entwirft, wer baut es denn? es baut entweder ein privatmann, der per definitionem teil der gesellschaft ist, oder ein öffentlicher auftraggebeer, der per definitionem teil der politik ist.
eigentlich müsste man die ganze chose historisch aufrollen, das ist mir aber zu langwierig, weshalb ich den großen schritt zum kontemporären elend mache.

unsere beiden größten übel im moment sind zum einen das banale reduktionismuserbe der bauhäusler und zum anderen der naturfeindliche technizismus durch in gebaute realität transformierte naturwissenschaft.
ich bin der letzte, der das rad des wissenschaftlichen fortschritts zurückdrehen möchte, dazu bin ich viel zu sehr szientist, wogegen ich mich aber wehre ist die übertragung wissenschaflicher denkweisen auf unsere gesamte umwelt. unsere gesellschaft ist im 20. jhd. zu einem kaum vortsellbaren grad technisiert und verwissenschaftlicht worden. in der medizin, raumfahrt oder energiegewinnung oder bzgl. der dutzende oder tausende von technischen apparaturen, die in jedem haushalt stehen muss das nicht schlecht sein. leider hat man aber auch diese technisch-wissenschaftliche sicht auf die architektur übertragen. reine stahlbauweise, vorgehängte scheiben, weit überkragende gebäude, wolkenkratzer, verwendung von physikalisch vorzuziehendem aber kaltem edelstahl, die absenz aller technisch nicht relevanter ornamentik oder einfach nur das heute fast schon normalgewordene offene verlegen von technischer infrastruktur in gebäuden, d.h. heizungsrohre an der decke, fahrstühle aus glas, elektrische überwachungen als auf-putz-installation, usw. all das führt dazu, dass sich manche "moderne" bürogebäude oder einrichtungen nicht mehr von einer fabrikhalle unterscheiden.
stets wird dabei übersehen, dass die technik der natürliche feind der umwelt ist. aber so wirkt eben diese architektur auf den "natürlichen", nicht rationalen teil des menschen. leider darf irrationalität, wie sie z.b. die emotionalität darstellt, aber in der rationalen welt der wissenschaft (von randbereichen abgesehen) keine rolle spielen.
warum diese exemplarischen ausführungen? ich könnte noch viele eigenschaften in der gesellschaft aufzählen und würde doch immer wieder eine entsprechung in der architektur finden.
doch auch der einfluss vice versa ist nicht zu unterschätzen. die architektur, in der ein mesnch aufwächst oder lebt, prägt ihn. deshalb gab und gibt es auch immer wieder architekten und städte, die durch eine bestimmte art des bauens einen neuen menschen schaffen wollten (insonderheit in 60ern und 70ern, als es in der wissenschaft noch irrtümlicherweise en vogue war, zu glauben, der mensch sei ganz oder zumindest fast ganz ein produkt seiner umwelt, und man die genetische disposition zu unrecht, wie man heute weiß und vorher wusste, nivellierte) - das waren stets die schlimmsten von allen.
spätestens hier kommt dann massiv die politik ins spiel. städtebaulich-ideologischer irrsinn gepaart mit politischer macht, das ist der stoff aus dem die deutschen alpträume sind. dieser verhängnisvollen allianz verdanken wir "funktional getrennte und mobile städte", "real existierende sozialismusplatten", "erziehung durch zerstörung", "aufhetzen des menschen durch kontraste", "perforierte stadt" und vieles mehr.

ich höre jetzt auf, wiederhole aber nochmals einen satz vom beginn: der zusammenhang zwischen gesellschaft, politik und architektur könnte größer kaum sein.

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