Architectura Pro Homine - Forum für Klassische und Traditionelle Baukunst - www.aph-forum.de.vu

    

 · Home · Impressum & Datenschutz · Suche

Seiten mit Postings: 1

zum Seitenende

 Forum Index —› Diskussion —› "Was ist Heute Architektur?" - Interview mit Hans Kollhoff
 


Autor Mitteilung
Weißer Wolf
Senior-Mitglied

Beiträge: 463


Gesendet: 23:58 - 13.06.2004

"Was ist heute Architektur?"

Hans Kollhoff über den Wiederaufbau und die künftige Nutzung der Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel

von Rainer Haubrich

Die Attrappe der Schinkelschen Bauakademie gilt als eine der Attraktionen des Berliner Sommers. Derzeit wird das Gerüst für die Fassaden-Simulation aufgebaut. Präsident des Vereins "Internationale Bauakademie Berlin" ist Hans Kollhoff, einer der einflussreichsten deutschen Architekten. Mit ihm sprach Rainer Haubrich.


Die Welt: Als Sie im Dezember die Nachfolge von Josef Paul Kleihues als Präsident des Bauakademie-Vereins antraten, war das kaum jemandem eine Meldung wert. Ist den Leuten das Projekt egal?


Hans Kollhoff: Das glaube ich nicht. Die Rekonstruktion der Bauakademie interessiert die Menschen sehr. Aber die Institution "Internationale Bauakademie" hatte noch keine Gelegenheit, ein eigenes Profil oder erste Erfolge zu präsentieren. Daran haben wir gearbeitet, und jetzt ist es soweit. Mit einem Projekt wie dem Stadtschloss wollen wir ohnehin nicht konkurrieren. Dort begann die Diskussion ja schon, bevor man den Inhalt kannte. Bei uns sollte es umgekehrt sein.


Die Welt: Was soll der Inhalt der Bauakademie werden?


Kollhoff: Am Anfang gab es die Vorstellung, die reichhaltigen Berliner Sammlungen zur Architektur der verschiedenen Berliner Institutionen unter einem Dach zu versammeln. Das ist vom Tisch. Aber die Bauakademie soll das Forum sein, wo die Bestände präsentiert werden, nicht museal, sondern stimulierend für aktuelle Debatten. Im Grunde wollen wir uns die Frage stellen "Was ist Architektur?" Das klingt zunächst banal, hat aber Zündstoff. Denn wir bezweifeln, dass es sich bei alldem, was heute unter diesem Begriff läuft, auch tatsächlich um Architektur handelt. Selbst in den Feuilletons wird Architektur heute als Entertainment-Faktor betrachtet. Das war Architektur bis zu einem gewissen Grad immer, aber dieser Aspekt wurde immer nachgeordnet den eigentlichen Aufgaben des Metiers, nämlich nützlich, dauerhaft und schön zu bauen.


Die Welt: Was wollen Sie dem Entertainment entgegensetzen?


Kollhoff: Wir suchen nach den Grundlagen der Architektur, nicht nur im Künstlerischen. Seit der späten Bauhaus-Ära hat man den Kunstanspruch der Architektur so in den Vordergrund geschoben, dass man sich von der Praxis des Metiers immer weiter entfernte. Auch unter den Bedingungen des industriellen Bauens kann man handwerklich gute Arbeit leisten. Wir wollen deshalb Firmen in die Arbeit der Bauakademie einbeziehen, um im täglichen Bauprozess mehr Qualität zu erreichen. Das war ja auch zu Schinkels Zeiten ein wesentliches Anliegen. Es wurden Qualitätskriterien eingeführt nicht nur für die theoretische Auseinandersetzung, sondern auch für handwerkliche Standards. Daraus entstanden die DIN-Vorschriften, die heute eine Pervertierung der ursprünglichen Absicht darstellen. Denn sie sind im Wesentlichen durch Interessen der Baulobby geprägt. Auch da werden wir uns zu Wort melden.


Die Welt: Worin liegt die Bedeutung dieses Bauwerks?

Kollhoff: Für mich ist die Bauakademie der beispielhafte Versuch, die Zerreißprobe auszuhalten zwischen einer Konvention der Architektur und neuen gesellschaftlichen und technischen Bedingungen. Das ist die große Leistung Schinkels. Bis zum Barock gab es eine Tradition, nicht zuletzt auf der Basis von zunehmend anachronistisch erscheinenden Traktaten. Um 1800 hat das nicht mehr gehalten. Schinkel musste erstmals die Frage beantworten: Was ist Architektur? Er hatte in England die neuen schmucklosen Industriebauten gesehen und sie faszinierten ihn. Er notierte mit einem ambivalenten Gefühl aus Abscheu und Bewunderung in sein Tagebuch, die Gebäude seien "ganz ohne Architektur". So weit wollte er nicht gehen. Das Architektonische war für ihn eben nicht das Abstrakte, das rein Funktionalistische. Seine Antwort ist die Bauakademie.


Die Welt: Warum kann man die Frage, was heute Architektur ist, nicht mit einem neuen Würfel beantworten? Warum muss es die Rekonstruktion sein?


Kollhoff: Es geht ja nicht nur um den Würfel. Die Bauakademie war ein Glücksfall, das Ergebnis ganz außergewöhnlicher, gesellschaftlicher, technischer und künstlerischer Bedingungen. Diesen Glücksmoment kann man nicht wiederholen. Ich jedenfalls hielte es für vermessen, zu glauben, dass ausgerechnet unsere Zeit so etwas wiederholen könnte!


Die Welt: Wieviel Rekonstruktion muss auch im Inneren sein, wo kann man vereinfacht wiederherstellen?


Kollhoff: Im Verein diskutieren wir das kontrovers - und am Schluss wird auch eine Rolle spielen, was wir bezahlen können. Sollten etwa die Gewölbebögen gemauert werden oder ginge das auch in Beton? Ich wäre für mauern. Im Grundriss müssen wir uns an das historische Stützenraster halten. Aber die Aufteilung der Räume braucht nicht genauso zu sein wie zu Schinkels Zeiten, es gab ja nach ihm auch schon Veränderungen. Die verwendeten Materialien, die Details, der Schmuck werden sein wie beim Original. Es soll auch wie früher Läden im Erdgeschoss geben, nicht zuletzt dies machte die Bauakademie ja zu einem städtischen Gebäude.


Die Welt: Bleibt die bereits gemauerte Musterecke?


Kollhoff: Das ist eine sehr gute Arbeit, auch handwerklich. Deshalb werden wir sehr behutsam damit umgehen. Aber noch ist nicht sicher, ob wir sie einbeziehen können. Vielleicht wird es wesentlich billiger, sie abzureißen und neu aufzubauen.

..........

Die Welt: Seit den heftigen Debatten nach dem Fall der Mauer hat sich einiges verändert: der Potsdamer Platz lebt, der Bundestag stimmte für den Wiederaufbau des Stadtschlosses, die Kommandantur ist rekonstruiert. Und jetzt macht auch noch der Ober-Klassizist der deutschen Architekten aus Schinkels Bauakademie einen traditionalistischen Think Tank. Sieg auf der ganzen Linie?

Kollhoff: Das würde ich nicht so sehen. Aber Sie haben recht: Heute gibt es niemanden mehr, der es falsch findet, dass man sich nach dem Fall der Mauer an das Berlin vor der Zerstörung durch Krieg und Planung erinnert hat. Jeder, der durch die Stadt geht, spürt, dass die Orientierung an den noch vorhandenen Strukturen dazu führte, dass die Stadt ihren Charakter bewahrt und geschärft hat. Hätten nicht so viele für diese Erinnerung gestritten und gearbeitet - Berlin wäre eine der vielen Weltstädte geworden, die man nicht mehr unterscheiden kann, weil sie dem "International Style" und dem Wanderzirkus von Star-Architekten zum Opfer gefallen sind.


Artikel erschienen am 14. Juni 2004

Quelle: http://www.welt.de/data/2004/06/14/291041.html?s=1
Prokovjev
Stammgast

Beiträge: 73


 

Gesendet: 01:49 - 14.06.2004

Zitat:
...Berlin wäre eine der vielen Weltstädte geworden, die man nicht mehr unterscheiden kann, weil sie dem "International Style" und dem Wanderzirkus von Star-Architekten zum Opfer gefallen sind.


Kollhoff-Interviews lohnt es sich allein schon wegen der pointierten Seitenhiebe auf die Zehnwässerchen des Architekturgeschehens zu lesen ;D
Weißer Wolf
Senior-Mitglied

Beiträge: 463


 

Gesendet: 02:29 - 14.06.2004

Ja, er ist einfach klasse !
PeterBerlin
Bronzenes Premium-Mitglied

Beiträge: 584


 

Gesendet: 13:19 - 14.06.2004

Kollhoff ist einer der wenigen Architekten, die etwas begriffen haben. Ich finde ihn wirklich gut.
Ernst
Mitglied

Beiträge: 134


 

Gesendet: 18:53 - 14.06.2004

Sehr schön finde ich die Formulierung vom "Wanderzirkus der Star-Architekten".
Kai_2
Senior-Mitglied

Beiträge: 288


 

Gesendet: 19:28 - 14.06.2004

'was ist heute [noch] architektur?' gute und vor allem schwierige frage.
ich unterstütze kollhoff, zwar nicht bedingungslos, aber zum größten teil.
Hans-Dominik Schwabl
Mitglied

Beiträge: 120


 

Gesendet: 19:49 - 14.06.2004

Was Kollhoff sagt, ist sehr gut. Seine Umsetzung des Gesagten in Gebautes könnte mutiger sein!
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 14:46 - 15.06.2004

kollhoff ist wirklich im alter weise geworden.
mich wundert allerdings, dass hier zwei dinge gar nicht weiter diskutiert wurden.

"Aber die Aufteilung der Räume braucht nicht genauso zu sein wie zu Schinkels Zeiten, es gab ja nach ihm auch schon Veränderungen. Die verwendeten Materialien, die Details, der Schmuck werden sein wie beim Original."

ich wusste nicht, dass das gebäude auch _innen_ rekonstruiert wird!

"Hinter der Plane soll in der zweiten Jahreshälfte ein Raum aus dem ersten Obergeschoss der Bauakademie massiv und originalgetreu rekonstruiert werden, etwa 200 Quadratmeter groß, der für Veranstaltungen genutzt werden kann."

und dass ein originaler saal noch in diesem jahr rekonstruiert wird, das ist wunderbar!

Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


 

Gesendet: 23:24 - 30.07.2004

Ich empfehle, unbedingt einmal den Essay "Architektur des 20. Jahrhunderts als Kult" von Nikos A. Salingaros zu lesen. Er setzt sich kritisch mit dem System hinter unserer zeitgenössischen Architektur auseinander:


http://www.umbau-verlag.com/Essays/NikosSalingaros.html
PeterBerlin
Bronzenes Premium-Mitglied

Beiträge: 584


 

Gesendet: 03:42 - 31.07.2004

Hallo Dirk,

habe den Artikel von Salingaros erst zur Hälfte durch, dafür aber in Windeseile. Und es geht gleich weiter, muss nur kurz
unterbrechen um mitzuteilen wie begeistert ich von ihm bin. Der ist einfach genial!!!!!

Wo hast du den denn her ?

Seiten mit Postings: 1

- "Was ist Heute Architektur?" - Interview mit Hans Kollhoff -

zum Seitenanfang



 Forum Index —› Diskussion —› "Was ist Heute Architektur?" - Interview mit Hans Kollhoff
 



Version 3.1 | Load: 0.002620 | S: 1_2