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 Forum Index —› Deutschland —› Halle: Die Stadt, der Klotz und der Prozess
 


Autor Mitteilung
Weißer Wolf
Senior-Mitglied

Beiträge: 463


Gesendet: 00:48 - 10.03.2004

Die Stadt, der Klotz und der Prozess

Halle sucht den Schuldigen für einen ausufernden Bauskandal

Halle - Nach Leipzig hat nun auch Halle seinen Bauskandal - die Frage ist nur noch, wer am Ende am Pranger steht. Schon jetzt freilich ist offenkundig, was bei dem Verfahren auf der Strecke bleibt: das "Leitbild" der größten Stadt Sachsen-Anhalts, die als eine der besterhaltenen Großstädte Deutschlands gilt und mit ihrem viel bewunderten Marktplatz ein Kleinod der Städtebaukunst besaß.


Man muss sagen: "besaß" - denn der Betonklotz, den ein Kaufhauskonzern jetzt mitten auf den Marktplatz gekippt hat, zertrümmert, was der Krieg gnädig verschont hatte. Das von den Kölner Architekten Kister, Scheithauer, Gross errichtete Bauwerk, denen Halle einige ordentlich gestaltete Gebäude im Händelkarree verdankt, ist eine zusammengeklumpte, unförmige, unproportionierte Baumasse, die das feingliedrige Ensemble kunstvoller Baudenkmale aus allen Jahrhunderten aus dem Gleichgewicht bringt.


Wer ist schuld? Darüber wird zurzeit vor dem Landgericht Halle prozessiert. Dabei kommen immer mehr Details einer offenbar unsauberen Erteilung von Bau- und Abrissgenehmigungen auf den Tisch. Angeklagt ist zwar der im vergangenen November entlassene hallesche Beigeordnete für Planen und Bauen, Rainer Tepasse. Er soll dem Investor Frankonia im Februar 2002 eine Offerte zum illegalen Abriss eines denkmalgeschützten Gebäudes gemacht haben, das der Verschandelung des Marktplatzes im Wege stand. Doch immer mehr Zweifel kommen über die Handlungsweise weiterer Angestellter der Stadt sowie über die Geschäftspraktiken der Frankonia auf.

Eine Bürgerinitiative, unterstützt von hervorragenden Wissenschaftlern wie Carl Friedrich von Weizsäcker und Medizinnobelpreisträger Günter Blobel, hatte vergeblich an Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler (SPD) appelliert, die stadtzerstörerischen Baupläne zu stoppen und stattdessen das auf Betreiben der SED und abgerissene gotische Alte Rathaus wiederaufzubauen. Den Rathauspolitikern war ein anderer "Deal" wichtiger. Mindestens eine(n) wird am Ende der (bald verschmerzte) Schuldspruch treffen. Doch an den Folgen wird die Stadt noch Jahrzehnte tragen.


Artikel erschienen am 9. März 2004 in Die Welt
Ernst
Mitglied

Beiträge: 134


 

Gesendet: 11:28 - 10.03.2004

Hier gibt's Bilder:

http://www.galeria-kaufhof.de/Sales/CoCo/co_filialen_011_sac-an_02_hal_bau.asp?FLEXID=0

Also das Ding ist wirklich nicht gerade ein Kleinod. Aber so zu tun, als sei Halle damit ein für alle mal ruiniert, kommt mir auch übertrieben vor. Im vergleich zu anderen Kaufhäusern ist das ja noch zurückhaltend. Wenn ich da nur an den scheußlichen Kaufhof in Chemnitz denke...
patriot3
Stammgast

Beiträge: 51


 

Gesendet: 14:56 - 10.03.2004

Es gibt schlimmere Kaufhofgebäude
Reißt das Gebäude wieder ab
Geldverschwendung egal wir habens doch
Baut das alte Rathaus wieder auf
Baut einen Kaufhof außerhalb der Altstadt und in einem schöneren Gebäude

Wer solls bezahlen
Wissen.de
Novize

Beiträge: 47


 

Gesendet: 15:15 - 10.03.2004

Ich bin mal wieder entsetzt, wie hier einer der letzten homogenen Standorte in einer deutschen Großstadt mutwillig zerstört wird. Das es im Rahmen der Kaufhofpolitik eines der besseren Gebäude ist, tröstet mich nicht. Wieder ist ein Platz unwiederbringlich für den wiederaufbau verloren. Dieses Unternehmen ist wahrhaftig ein ständiges Ärgernis.
Vennlig Gutt
registriert

Beiträge: 23


 

Gesendet: 15:29 - 10.03.2004

Wirklich schön war und ist Halle wohl nie gewesen - die Stadt mag zwar den Krieg unbeschadet überstanden haben, die vierzig Jahre DDR haben jedoch jede Menge Spuren hinterlassen (insbesondere wurden immer wieder ganze Schneisen in die Altstadt getrieben und mit scheußlichen Plattenbauten zugebaut). Außerdem machte die Stadt bei meinem letzten Besuch 2002 einen äußerst heruntergekommenen und verwahrlosten Eindruck - kein Vergleich zu einer äußerst properen Stadt wie Erfurt beispielsweise (überhaupt stelle ich jedes Mal einen deutlichen Unterschied zwischen Thüringen und Sachsen einerseits und Sachsen-Anhalt andererseits fest, wo alles zurückgebleiben scheint).
Kai_2
Senior-Mitglied

Beiträge: 288


 

Gesendet: 15:47 - 10.03.2004

atemberaubend...schrecklich!
anpassung scheint für viele architekten ein fremdwort zu sein. wie kann man ein solch unproportioniertes etwas überhaupt genehmigen? deutschland, das land der dichter und denker...was für ein unstimmiges klischee!
Kai
Bewacher
Mitglied

Beiträge: 215


 

Gesendet: 19:24 - 10.03.2004

Tja, was soll ich dazu sagen? Es hilft (manchmal zumindest) nur das Bürgerliche Engagement:
- Sich rechtzeitig informieren, die Planungen mitkriegen
- Kräftig und koordiniert Druck machen, Nachbesserungen einfordern

Dabei bin ich seit sehr vielen Jahren, manchmal gelingt es, manchmal nicht - und manchmal wenigstens teilweise...
Rösch
Senior-Mitglied

Beiträge: 343


 

Gesendet: 21:09 - 10.03.2004

Leider kenne ich Halle bisher nur von Bildern, war leider noch nicht da.
Was sich Kaufhof(inkl. Architekt), die Schuldigen im Stadtrat und die Bürgermeisterin geleistet haben, ist ein Verbrechen!

Aber so läuft das eben oft in unseren Städten und Gemeinden. Aus den Fehlern der Vergangenheit hat da noch niemand gelernt. Schließlich geht es wie immer um das liebe Geld.

In der gelöschten Rubrik "Alles MÜLL-er?" hatte ich das Thema bereits angesprochen. In meiner Heimatstadt Villingen hat die Fa. Müller Drogeriemarkt ein völlig überdimensioniertes Kaufhaus in ein denkmalgeschütztes Quartier gepflanzt. Dafür wurden mehrere denkmalgeschützte Gebäude abgerissen. Der ehemalige OB der Stadt Villingen-Schwenningen, Manfred Matusza, hat in seiner Funktion als Vorsitzender des Spitalfonds des Heilig-Geist-Spitals dem Firmenchef Müller sogar noch ein prächtiges Jugendstilgebäude aus dem Besitz einer alten Villingerin verscherbelt.
Dazu kamen zahlreiche denkmalgeschütze Gebäude, die Müller im Laufe der Jahre aufkaufte und vorsetzlich vergammeln ließ (Abdecken von Dachziegeln, geöffnete Fenster - so, dass die Gebäude Tieren und Witterung ausgeliefert waren.). Eine Erhaltung schien bei Stellung des Abbruchantrags deshalb - laut Gutachten - unzumutbar! Wie lächerlich kann ich da nur sagen. Ich ärgere mich noch heute darüber was für ein dreckiges Verfahren das war. Und die letzte Entscheidung über das Objekt hatte in der Tat Oberbürgermeister und Baubürgermeister, die sich eben nicht für die Erhaltung einsetzten und Schadensansprüche seitens Müller fürchteten.
Gleiches Verfahren, nur 30Jahre früher, war der Abbruch des alten Gasthauses Blume-Post am Villinger Strassenkreuz, am Marktplatz zugunsten des Billigkaufhauses BILKA, das später von Woolworth übernommen wurde und Ende der 90er Jahre von K&L Ruppert gekauft wurde. K&L Ruppert, die durch ihre Rekonstruktion in Rosenheim positiv auf sich aufmerksam machten, hätten eine Verbesserung der Fassade auch gerne in Villingen vorgenommen.
Leider, statt die Chance wahr zu nehmen und das Angebot dankbar anzunehmen, vereitelte die Verwaltung die Möglichkeit mit dem Ergebnis, dass im Herzen der Stadt immer noch ein banaler, steriler Allzweckbau das Stadtbild verschandelt.

Wenn dieser Form von Verbrechen harte Strafen für die Entscheidungsträger folgen würden, wären schon viele "Köpfe gerollt"!!!
Ben
Goldenes Premium-Mitglied

Beiträge: 1337


 

Gesendet: 21:28 - 10.03.2004

Mir ist die Notwendigkeit des Wiedererkkenungswertes klar, aber kann sich Kaufhof nicht überall auf eine andere, angepasstere Weise darstellen !
PeterBerlin
Bronzenes Premium-Mitglied

Beiträge: 584


 

Gesendet: 12:54 - 11.03.2004

Ernst, du hast Recht: das dritte Bild ist tatsächlich nicht so schlimms, ich stimme dir zu. Aber was für einen Architekturanspruch haben wir heute, dass wir bei "nicht so schlimm" schon fast aufatmend zufrieden sind? Und was ist es für ein Argument, auf einen "noch scheußlicheren Kaufhof" (in Chemnitz) hinzuweisen? Macht das die Zerstörung eines zentralen historischen Platzes in einer der wenigen unzerstörten Städte unseres Landes "legitim" ? Ich denke nicht.

Die Rückfront "nicht so schlimm", was ist mit der Vorderfront? Dass du das gesamte Gebäude als nicht so dramatisch herunterspielst, find ich einen Witz.

Dass fiel mir schon bei der Brasilia-Diskussion auf: Du bewertest Gebäude isoliert.Ein innerstädtisches GEbäude steht aber nie isoliert, sondern ist immer Teil - und zwar kleiner - eines urbanen Contextes. Ich finde das sehr bedauerlich, dass unsere heutigen Architekten nicht in der Lage sind, die absoluten Minimalanforderungen zu erfüllen, die für ihren Beruf notwendig sind. Sich wenigstens eine Sekunde einmal das Gelände anzusehen, das man "verschönern" will, wäre diese Minimalanforderung. Sie wird nie erfüllt. Dass du ebenso wie diese Architekten ein Gebäude isoliert bewertest, anstatt im Context, ist für mich nicht nachvollziehbar.
Christian
Mitglied

Beiträge: 114


 

Gesendet: 14:41 - 11.03.2004

@ Peter
Ich stimme dir in allen Punkten zu! Die Minimalforderungen in Bezug auf diesen Ort wären eine gewisse Kleinteiligkeit und Höhe, sowie einem richtigen Dach gewesen, anstelle dieses brachialen, nicht kontextualistischen Klotzes! Nicht einmal überschwengliche Ornamentik würde ich dazu zählen. Selbst zurückhaltende Bauten würden sich ins gesamtstädtische Gefüge eingliedern!
Ich fühle mich ratlos: Im Gegensatz zu Vennling fand ich Halle bei meinem letzten Besuch schön, wenngleich von einem unberührten Stadtbild keine Rede mehr sein kann. Im Krieg wurde die Stadt lediglich lediert, alles Ledierte schließlich abgerissen und "ersetzt".
Das Bild Halles heute ist zum Teil sogar ziemlich erschreckend, wenn Alt- und Neustadt -getrennt durch eine achtspurige Megamagistrale aufeinanderstoßen!
Und wenn nun auch die letzte Gelegenheit unter Missachtung der Minimalforderung (die eine Voraussetzung zur Berechtuigung des Berufsstandes Architekt darstellt)zur Erhaltung und Wiederherstellung des historischen Alten Marktes nicht genutzt wird, ist dies auch ein Freifahrtsschein für die Sanierung der angrenzenden Plattenbauten, sowie Neubauten in ähnlicher kaufhöfischer Qualität.

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