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 Forum Index —› Deutschland —› Wiederaufbau Frauenkirche zu Dresden
 


Autor Mitteilung
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 13:29 - 15.10.2003

Und sie steht doch!
Am Himmel über Dresden hängt wieder die "Steinerne Glocke" der Frauenkirche. Wie ein großes, für unmöglich gehaltenes Wunder lauter kleine nach sich zieht
von Dankwart Guratzsch


Die Kuppel der Frauenkirche bestimmt wieder die Dresdner Altstadt
Foto: ddp
Unerhört!", staunt der junge Architekt, "dann bliebe ja fast nichts als ..." - und sein Gegenüber vollendet seinen Satz: ". . . das Wunder!" Allen statischen Zweifeln und Unberechenbarkeiten, allen Neidern zum Trotz: Die mächtige Kuppel steht sicher und fest.


So endet die längst vergessene Novelle "Die Steinerne Glocke" über den Bau der historischen Frauenkirche - 1955 erschienen, erstaunlicherweise in der DDR, mit drei Auflagen in nur einem Jahr.


Unerhörter noch: Dieser Tage erneut sich das "Wunder". Nun, da die von ihren Gerüsten befreite "Steinerne Glocke" der Dresdner Frauenkirche erstmals seit dem Einsturz am 15. Februar 1945 wieder in der berühmten Stadtsilhouette erscheint, wiederholt sich, was vor 260 Jahren für Erregung, Beängstigung und tiefe Genugtuung sorgte: Das Bauwerk ist, allen Bedenken zum Trotz, standsicher. Die mächtige Kuppel - sie steht.


Viele Dresdner hatten nicht mehr daran geglaubt. Zu unwahrscheinlich, zu riskant, zu verwegen dünkte die Idee des Kunsthistorikers Fritz Löffler (1899-1988), der den Neuaufbau des in Schutt gesunkenen Monumentalbaus eine "notwendige Stadtkrönung" nannte. Nicht nur der finanzielle Aufwand schien einen originalgetreuen Wiederaufbau auszuschließen, nicht nur der Widerstand der Kirche, die am Trümmerberg festhalten und eine "verwundete Kirche" zeigen wollte, nicht nur die Skepsis der Architekten, die einen Friedenstempel für zeitgemäßer hielten, nicht nur der kirchenfeindliche SED-Staat (Walter Ulbricht hatte das Bauwerk bei einem Dresden-Besuch eigenhändig aus dem Stadtmodell entfernt), fast noch mehr schreckte das technische Wagnis.


Denn sie ist das eigentliche Wunder; die Konstruktion des auf acht schlanke Innenpfeiler und vier Treppenhäuser gestützten gewaltigen Steinmassivs war bis in die Nachkriegszeit umstritten. Dass der 95 Meter hohe Bau mit der 23,5 Meter weiten Steinkuppel überhaupt hatte Standsicherheit erlangen können, das war in der Tat bis zuletzt wundersam und rätselhaft geblieben. Und nun ist "das Wunder" sogar ein zweites Mal geglückt.


Der Bau wurde von heutigen Handwerkern in traditioneller Maurertechnik des 18. Jahrhunderts aus massiven Sandsteinquadern desselben Steinbruchs errichtet, aus dem schon die alte Frauenkirche stammte. Dass diese Techniken überhaupt noch bekannt sind, neu erlernt und punktgenau ausgeführt werden können, dass Computer im Nachhinein der spekulativen Bauidee des Barock Recht geben und sich sogar ein Dresdner Freskomaler einfindet, der diese schwierige, längst vergessen geglaubte Maltechnik meisterlich beherrscht, dass sich junge Steinmetze aus allen deutschen Bundesländern mit Meister- und Gesellenstücken beteiligen, dass 60 000 Spender aller Erdteile mitwirken und die Dresdner Bank, die seit über 100 Jahren nicht mehr in Dresden sitzt, die Finanzierung organisiert, dass allein deren Mitarbeiter (nur wenige haben eine persönliche Beziehung zu Dresden) eine Million Mark dafür gaben - das alles ist völlig ungewöhnlich und vorbildlos. Und das Wunder, das in dem Bauwerk steckt, zeugt immer neue Wunder.


Die Anteilnahme am größten Rekonstruktionsprojekt in der Geschichte der Denkmalpflege scheint noch immer zu wachsen. Zur Weihe der neuen Glocken kamen 20 000, zum ersten Glockenläuten 40 000 Menschen, der Platz zwischen den Bauzäunen reichte nicht aus für die Massen.


Als der Dresdner Rat 1722 seinen Ratszimmermeister George Bähr mit den Plänen für einen protestantischen Kirchenbau beauftragte, schien sich darin etwas wie Widerstandsgeist aufzubäumen gegen die königliche Rekatholisierung des Stammlandes der Reformation: Sachsen.


Wir hören erstaunt, wie August der Starke die provokanten Pläne nicht etwa vom Tisch wischte, sondern mit diesem Trotz insgeheim sympathisiert haben muss: Er begleitete den Bau nicht nur hoch interessiert, er stützte ihn wohl auch finanziell, vor allem aber ließ er ihn in einer Monumentalität ausführen, die die Silhouette seiner Residenz beherrschte. Dürfen wir darin ein Bekenntnis sehen, wie es in letzten Verfügungen des Königs niedergelegt ist, wohl dürfe sein Körper in Warschau beigesetzt werden, sein Herz jedoch in Dresden?


August setzte seine fähigsten Baubeamten ein, um die Wirkung der Kuppelkirche über jedes bekannte Maß hinaus zu steigern: Graf Wackerbarth, seinen Generalintendanten, dem ein Bau von "noch splendiderer und kostbarerer Struktur bei gleichen Kosten" vorschwebte, und den jungen Dresdner Architekten Johann Christoph Knöffel, der als erster einen quadratischen Grundriss vorschlug und die Kuppel auf jene überschlanken Pfeiler stützte.


Von ihm stammt auch die Erfindung des glockenförmigen Anlaufs des Kuppelhalses, die das Gebäude so einzigartig unter allen Kuppelbauten der Welt erscheinen lässt. Eine Form, die das konstruktive Korsett der Kuppel vergessen macht - sie sitzt nicht wie ein Ei im Eierbecher, sondern scheint sich auf alle Dächer der Stadt zu stützen. Eine Idee, die erst jetzt, da die Gerüste gefallen sind, in ihrer selbstherrlichen Entfaltung und Majestät wieder erfahrbar wird.


George Bähr selbst, der Erbauer, stammte aus dem Erzgebirge, er war wohl ein schlichtes Gemüt, der Rat der Stadt hatte ihn nicht mit dem höchsten Bauamt, dem des Ratsmaurermeisters, betraut. Er blieb immer der Ratszimmermeister, zuständig eigentlich für Holzkonstruktionen, obwohl er den größten Steinkuppelbau nördlich der Alpen schuf. Seine Ornamentik war bäurisch-schlicht, wie geschnitzt, mit der Raffinesse des höfischen Rokoko konnte sie nicht mithalten.


Aber das war es nicht, worum es diesem bodenständigen Mann ging. Seine erstaunlich modern anmutende Vision war es, die Grenzen zu überschreiten - ein Bau, der aussehen sollte, als sei er aus einem einzigen Stein. Etwas nahezu Unwirkliches sollte entstehen.


Aber die Kuppel war noch nicht fertig, da zeigten sich schon erste Risse. Heute glaubt man, dass es Setzungsrisse waren, sie stellten das Werk überhaupt in Frage. Es musste aber nachgebessert werden, das Geld ging aus. Neider und Konkurrenten zweifelten die Statik an und verlangten Gutachten. Vor allem wurde moniert, dass die ohnehin waghalsige Konstruktion auch noch eine Laterne aus Stein tragen sollte, die Bähr obendrein mit einem steinernen Obelisken bekrönen wollte.


Müssen die Anfeindungen und Demütigungen den Mann nicht an seiner Vision irre gemacht haben? Bähr hielt an ihr unerschütterlich fest, aber erkrankte schwer. In flehentlichen Briefen an den Rat erbat der sieche Mann Zuschüsse, um den Bau vollenden zu können, doch die Stadt drohte ihm, der eine große Kinderschar zu versorgen hatte, ihn für jeden zusätzlich nötigen Taler mit seinem privaten Vermögen haftbar zu machen. Diesen Streit hat er nicht überlebt. Als er am 16. März 1738 "an Steckfluß und Verzehrung" starb, war die Frauenkirche völlig unfertig.


Wie Beethoven, der seine letzten Werke niemals mit eigenen Ohren hören konnte, wie Kleist, der seine großen Dramen nie aufgeführt gesehen hat, sondern sie sich nur im Kopf vorspielen konnte, so hat auch der arme Bähr seinen Bau nie ohne Gerüste, den Kirchenraum nie in vollendeter Ausstattung gesehen.


Die Kuppel war zwar vollendet - ob sie aber stehen bliebe, ganz ungewiss. Der italienische Architekt Chiaveri empfahl, sie aus Sicherheitsgründen abzureißen. Und ihr fehlte der Abschluss, die Laterne. Der Bau konnte seine grandiose Wirkung noch gar nicht entfalten. Noch vier Jahre nach Bährs Tod steckte der Koloss in Gerüsten, die inzwischen zu faulen begannen.


Wie würde sich der Mann wundern, könnte er erleben, dass sein Bauwerk in genau derselben Technologie, zum Teil gar aus denselben Steinen, im 21. Jahrhundert ein zweites Mal errichtet wird - er, von dem nicht ein einziges Bild überliefert ist und in dessen Sarg ein Fremder liegt. Und von dem ein ferner Nachfahre im Amt, Kirchenbaudirektor Eberhard Burger, heute sagt: "Mit jedem Tag wächst unsere Ehrfurcht. Wie haben unsere Altvorderen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit ihrem Wissen und ihren technischen Möglichkeiten einen solchen Kirchbau aufführen können?"


Es blieb damals und es bleibt heute am Ende fast nichts als ein Wunder.


Artikel erschienen am 15. Okt 2003 i.d. WELT
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


 

Gesendet: 14:07 - 16.10.2003

Hier zwei ganz aktuelle Bilder der Frauenkirche, ausnahmsweise mal sehr groß, daß man die Details erkennt:

[Link zum eingefügten Bild]

[Link zum eingefügten Bild]
Ben
Goldenes Premium-Mitglied

Beiträge: 1337


 

Gesendet: 14:52 - 16.10.2003

Dieses Hin und Her zw. alten und neuen Steinen finde ich besonders "lustig". Am besten gefallen mir die Türmchen...auch wegen diesem Schachbrett-Muster.
Claus
Mitglied

Beiträge: 164


 

Gesendet: 16:19 - 16.10.2003

Ich habe mich mit der Idee,die alten Steine wiederzuverwenden,inzwischen angefreundet.
Es ist auch ein Aushängeschild deutscher Ingenieurs- und Steinmetzkunst.Wir zeigen der Welt damit,dass wir selbst aus einem Trümmerhaufen einer so grossen Kirche noch die Steine für die jeweils richtige Stelle ermitteln können.
Dadurch hat der Wiederaufbau auch etwas Trotziges,nach dem Motto: Egal,was Ihr mir antut,ich stehe doch wieder...
Vielleicht kann man das eines Tages auch für ganz Dresden sagen????
Seraph Eleison
Mitglied

Beiträge: 127


 

Gesendet: 16:56 - 16.10.2003

Sagt mal, hatte die Frauenkirche eigentlich farbige Fenster?
Wahrscheinlich nicht, denn sonst würden die ja auch rekonstruiert werden, oder?
Stefan
Novize

Beiträge: 35


 

Gesendet: 20:45 - 16.10.2003

So sehr ich das Frauenkirchenprojekt auch schätze, doch der Kontrast zwischen alten und neuen Steinen stört mich ein wenig. Es sieht einfach nicht gut aus.
Sicher, durch die Verwendung der alten Steine soll der Mahnmaklcharakter unterstrichen werden. Doch ein einigen stellen ist mir der Unterschied zu groß. Es wird Jahrzehnte dauern, bis der Sandstein der Frauenkirche nachgedunkelt
Am erst kürzlich renovierten Brandenburger Tor lassen sich neue und alte Sandsteine trotz des säuberns sehr gut auseinander halten. Insgesammt macht die Mischung aus alten und neuen steinen in Berlin einen harmonischeren Eindruck als in Dresden.
Vielleicht rücken sie ja der frauenkirche auch bald mit Laserpistolen zu leibe.


mathias
Senior-Mitglied

Beiträge: 315


 

Gesendet: 21:33 - 16.10.2003

Die dunklen Steine sehen aus, wie wenn ein Kind mit einem riesigen Pinsel überall Farbtupfen verteilt hätte. Wenn der Sandstein nachgedunkelt sein wird, wird der Gesamteindruck besser sein.
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 22:04 - 16.10.2003

mir gefallen die dunklen steine nicht, sie nehmen der kirche das strahlend-herrliche.
ich kann aber mit ihnen leben.
PeterBerlin
Bronzenes Premium-Mitglied

Beiträge: 584


 

Gesendet: 23:53 - 16.10.2003

@seraph
glaube nicht...sie wird ja 100% original rekonstruiert (soweit möglich, die jesus bilder sind natürlich nicht millimeter genau exact wie die von Grohne vor 1945, sollen aber nach ansicht von Kunsthistorikern doch sehr gut sein)

@claus

ist ja erstaunlich wie ähnlich du mir bist: GENAU das gleiche dachte ich auch schon mal:

"Dadurch hat der Wiederaufbau auch etwas Trotziges,nach dem Motto: Egal,was Ihr mir antut,ich stehe doch wieder..?? "

ich dachte erst gestern daran, dass es ja gut sein kann, dass in 50 oder 100 Jahren das ding wieder untergeht: und ich bin sicher, wenn die möglichkeiten da sind, wird es wieder erstehen. mit dem hamburger wahrzeichen, der st michaelis kirche ist das ja schon so geschehen: als hambzurg im feuersturm 1943 versank, war die kirche ja bereits eine reko gewesen. und nun steht sie ein 3 mal wieder.

Mich würde sogar nicht einmal wundern, falls die Menschheit noch mindestens 10 000 Jahre in Zukunft existiert, falls folgendes geschieht:
davon ausgehend, dass das phänomen "krieg" wohl nie ganz beseitigt werden wird, könnte ic mir vorstellen, dass man sich dann eines Tages sagt: gut, wir müssen damit leben - also richten wir uns daarauf ein. das heisst, dass es dann Usus sein wird, alle 50 jahre, wichtige Bauwerke exact so zu konstruieren wie sie waren: quasi als stehaufmännchen.

es wäre gut möglich, dass dann in geschichtsbüchern steht: "ende des 20 Jahrhunderts galt rekonstruktion in der wissenschaft als eine "Sünde, es
war die ausnahme zu rekonstruieren, von einzelfällen wie warschau und danzig abgesehen.

anfang des 21 jahrhunderts kam jedoch eine bewegung in gange, die von einer bürgerbewegung im totalzerstörten dresden ausging: hier endlich setzte sich der gedanke gegen die Dehio-Doktrin durch, was den durchbruch zu unsere heutigen sicht bewirkte: nämlich dass sich im laufe der entwicklung einer stadt bauwerke herausbilden, die unverzichtbar werden - und immer wieder aufgebaut werden, gleich wie oft sie zerstört werden. so wie wir es heute tun."

es ist gut möglich,dass spätere generationen einmal ganz selbstverständlich so denken - genau so, wie du, und ich, und einige andere hier es tun.
mathias
Senior-Mitglied

Beiträge: 315


 

Gesendet: 01:08 - 17.10.2003

Hallo Peter,

ja, und auch in 10 000 Jahren wird man sich noch dankbar und ehrfürchtig erinnern an denjenigen, mit dem alles begann: Peter Thelen!

(Kleiner Scherz am Rande..Die Japaner machen das übrigens seit über 1000 Jahren mit dem Ise-Schrein so.)

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