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Autor Mitteilung
Weißer Wolf
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Beiträge: 463


Gesendet: 00:36 - 13.09.2004

Die Erde zum Raumschiff machen

Ist die Welt des Fließens und des Wandels gekommen? Beobachtungen bei der Architekturbiennale in Venedig

von Dankwart Guratzsch

Der 79jährige Frei Otto ist der aktuellste deutsche Architekt. Die leichten Flächentragwerke haben die Welt erobert. Scharoun, Finsterlin, der frühe Bruno Taut sind wiederauferstanden. Ein bisschen High Tech haben sie hinzugelernt. Sie experimentieren mit neuen Baustoffen. Und sie haben eine Schar von Jüngern, die weltweit die Macht ergriffen hat und kurz davorsteht, vom Kosmos Besitz zu ergreifen. So mindestens führt es uns die 9. Architekturbiennale in Venedig, die große Bestandsaufnahme des Bauens weit über Europa hinaus, in der von Kurt W. Forster inszenierten Ausstellung im Arsenale vor. Und ein wenig kann man der Biennale glauben.


Es ist schon frappierend, wie da die Welt einen neuen Panzer übergezogen bekommt. Einige meinen es ganz wörtlich und wollen den Planeten in eine Art Schatulle stecken, um ihn zum Raumschiff umzurüsten. Andere begnügen sich damit, ihn inwendig voll zu stopfen, Straßen, Behausungen, Aktionsräume unter die Erdkruste, unter Wälder, Felder, Hügel und Seen zu schieben. Kompromissler bedienen sich aller erdenklicher Technologien und Tricks der Nachahmung und Kopie, um die Erdoberfläche mit einer zweiten "Natur" zu überziehen, in deren Falten und Taschen sie Funktionen verstauen, für die offenbar auf Erden kein Platz mehr ist.


Der Schweizer Forster, der das Trauma abarbeiten muss, dass eine Bande gewissenloser Investoren und Beamter sein Land in 30 Jahren an einigen der schönsten Punkte mit Baumüll verwüstet hat, ist mit der Auswahl einer ganz bestimmten Spezies architektonischer Werke der Frage nachgegangen, ob es eine Art Wiedergutmachungsarchitektur geben kann, ob sich die Sünde des Bauens mit Mitteln des Bauens abtragen und büßen lässt, ob es ein Leben jenseits der Zerstörung von Lebens- und Naturzusammenhängen gibt. Er vollzieht im Bereich "naturhaften" Bauens nach, was im Bereich neuer "historischer" Bauformen mit den Mitteln der Kunst und der Wiederbelebung alter Bau- und Handwerkstechniken versucht wird. In beiden Fällen haben wir es mit einer Art virtueller Rückeroberung dessen zu tun, was die Industrialisierung kaputt gemacht hat.


Dieses intellektuelle Spiel ist das Beste, was die Architekturbiennale 2004 zu bieten hat. Es macht eine im Alltagsgeschehen fast unkenntliche weltweite Strömung sichtbar, die in starken Einzelprojekten Triumphe feiert. Möglich ist das, weil die hoch entwickelte Technologie neuer Baustoffe und Konstruktionsweisen und die Entwicklung und Berechnung architektonischer Entwürfe mit dem Computer praktisch alles "baubar" macht.


Die Lotrechte, die früher eine statische Bedingung des Bauens gewesen ist, wird abgelöst durch die krumme Linie und den schiefen Winkel. Transparente und beliebig verformbare Baustoffe, aus dem Bild des Bauwerks in die Unsichtbarkeit verlegte Kräfte der Spannung und Verknüpfung, ans Spirituelle grenzende Technologien der Be- und Entlüftung, der Klimaregulierung und Entsorgung lassen es zu, dass scheinbar autochthone Gehäuse geschaffen werden, die aus sich selbst zu "leben" scheinen und die sich wie eine zweite "Natur" über und in die erste schieben.


Das Spiel mit solchen Gestaltungsweisen setzt Fantasien frei, es macht bewusst, dass Realität nichts Unumstößliches ist, dass immer noch eine Wirklichkeit dahinter imaginiert werden kann. In Venedig freilich soll uns nahe gebracht werden, dass dieser Parallelwelt die Zukunft gehört.


Genau an diesem Punkt beginnt die Ideologie. Sie klingt so altbacken "modern", dass sie Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung der Ausstellung selbst ironisiert - denn heute weiß jedes Kind, dass die himmelstürmenden Entwürfe der Weltveränderer des 20. Jahrhunderts nicht getragen haben, dass sie dem Lebewesen Homo Sapiens keine "neuen Denk- und Empfindungsweisen" anzuerziehen vermochten, wie sie der treuherzige Forster erhofft.


Forster hat seiner Ausstellung den schillernden Begriff "Metamorph" gegeben und verherrlicht im Computer den neuen Herren über die gebaute Welt. Er sieht die "vitruvianische Architektur" am Ende und eine neue - nämlich die alte "organische" - aufsteigen, er hält die "Rückkehr der Vergangenheit" vor 20 Jahren für ein "Phantom" und die "Welt des Fließens und des Wandels" für gekommen. In den Pavillons der Nationen schlägt sich diese Weltformel in Plattitüden nieder, die an Belanglosigkeit vielfach kaum zu überbieten sind. Schautafeln und ewig vor sich hin flirrende Videos, selten einmal (wie im abschnittsweise durchaus witzigen italienischen Beitrag) Dioramen ersetzen das, was einmal Modelle, aufregende Reißbrettprojektionen oder monumentale Installationen waren. Das meiste lohnt den Namen Ausstellung nicht.


Da bildet der deutsche Pavillon leider keine Ausnahme. Mit "Deutschlandschaft - Epizentren der Peripherie" fixiert sich Ausstellungsmacherin Francesca Ferguson auf das Phänomen der ungestalten Randzonen - einer Siedlungsstruktur, die vor 20 Jahren die Vordenker der "Zwischenstadt" auf den Plan rief und heute, in Zeiten dramatischer Schrumpfungsprozesse, todgeweiht scheint. Die Welt des Fließens hat nun mal eine Tücke. Man muss auf der Hut sein, dass man von ihr nicht überholt wird.


Katalog Deutschlandschaft, Hatje Cantz. 256 S., 29,80 EUR; Biennale-Katalog Metamorph. Marsilio, drei Bde., 60 EUR.


Artikel erschienen am Mo, 13. September 2004


Quelle: http://www.welt.de/data/2004/09/13/331727.html?s=2

Hans-Dominik Schwabl
Mitglied

Beiträge: 120


 

Gesendet: 12:57 - 15.09.2004

"Gut ausgedacht" ist häufig das Gegenteil von "gut"!

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