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Autor Mitteilung
Hans-Dominik Schwabl
Mitglied

Beiträge: 120


 

Gesendet: 21:33 - 28.09.2004

Will man unsere Städte verbessern, muß man darauf schauen, dass mit jeder Maßnahme der Zustand verbessert wird, nicht die Realisierung des optimalen Wunschtraumes, der nur allzuleicht zum Alptraum wird.
Frank
registriert

Beiträge: 4


 

Gesendet: 03:53 - 29.09.2004

Jetzt mal ehrlich: Wer von euch hat sich das Gebäude, über das ihr hier redet, mal in natura angesehen? Ich wohne in Mainz und komme ungefähr einmal die Woche daran vorbei und mir graust's jedesmal wieder...
Wenn man sich alte Fotografien des klassizistischen Eckhauses von 1817 anschaut, ist es erschreckend, wie plastisch die alte Fassade wirkte im Vergleich mit der vergröbernden Rekonstruktion von heute, deren Gliederung überhaupt keine Tiefe besitzt. Gleiches gilt übrigens auch für die Fortsetzung nach links am Markt - da hab ich mich noch mal schlau gemacht: Es handelt sich dabei nicht um eine freie Erfindung, wie ich ursprünglich dachte, sondern ebenfalls um eine vergröberte Rekonstruktion einer klassizistischen Fassade (ursprünglich Markt 19), die auch dem historistischen Kaufhaus von 1890 weichen mußte. Aber auch hier: Man sieht die Kulissenhaftigkeit auf zweihundert Meter Entfernung! Und schließlich: Wenn man schon vorgibt, ZWEI alte Häuserfassaden zu rekonstruieren, sollte man sie nicht unter EIN einheitliches Dach zwingen.
Dieses Dach umfaßt natürlich auch noch die anschließenden frei erfundenen Gebäudeteile Richtung Liebfrauenplatz (dort standen vor 1890 nicht weniger als vier einzelne schmale Häuser), die ich wie gesagt für das größte Übel halte: Freischwebende unprofilierte Fensterverdachungen! Kapitelle in T-Form! Ein neobarock vorschwingendes Personaltreppenhaus, gekrönt von der Travestie eines Thermenfensters! Und das Ganze gestrichen in knalligem Bonbonpastell, das an dieser Stelle in eine fiese farbliche Konkurrenz zum Dom und den barocken Domhäusern gegenüber tritt - willkommen in Disneyland, wenn auch an historischer Stelle. Nebenan in Richtung Liebfrauenplatz schließt sich übrigens ein Neorenaissance-Bau von 1878 an (Markt 31), den ich früher immer für etwas zu klotzig hielt: Seit das Sinn-Leffers-Haus steht, schätze ich seine noble Eleganz... Das im Jahre 2000 abgerissene Listmann-Haus schaffte mit einer "modernistischen" Lösung einen eleganten Übergang zu jenem mit graugelbem Sandstein verkleideten Neorenaissance-Bau, wie ihn das Sinn-Leffers-Haus nicht einmal versucht: Mit einem Kastenerker aus Aluminium und Glas, der die Gliederung des Gebäudes von der Horizontalen in die Vertikale lenkte und damit zum Nachbarn überleitete, ohne mit ihm in eine farbliche Konkurrenz zu treten. Soviel zum Thema "ist zwar nicht perfekt, aber doch ein Fortschritt"...
Und abgesehen von aller Kritik am Detail halte ich es einfach für grundsätzlich problematisch, die Fassaden zweier klassizistischer Bürgerhäuser samt neobarock neuerfundenem Etwas vor einen für diese Stelle doch sehr großen Neubaukomplex zu setzen: Weil sie nun mal nicht für die Gliederung einer Kaufhausarchitektur gedacht sind; weil sie ein Versteckspiel in Bezug auf Authentizität und Proportion versuchen, das an dieser städtebaulich exponierten Stelle nicht gutgehen kann.
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 13:49 - 29.09.2004

meckern kann man immer, zumal wenn der eigene geschmack einer modernistischen lösung nicht realisiert wurde. die kritik im detail ist sicherlich angemessen und hätte man uns hier im forum oder die bevölkerung entscheiden lassen, die lösung wäre vielleicht das original, aber sicherlich viel schöner geworden.
ein mehr an traditionalität scheint halt immer noch nicht realisierbar, da die nachkriegsstädtezerstörer nach ihrem leider erfolgreichen marsch durch die institutionen immer noch in amt und unwürde sitzen.
das argument der authentizität, das den ganzen beitrag wie ein roter faden durchzieht, halte ich ohnehin für (fast) völlig sinnlos, weil es erstens kein primäres kriterium für ein gebäude ist und es zweitens jeder drehen kann, wie er will.
ich z.b. würde behaupten, dass rekonstruktionen oft authentischer sind als ein beliebiges glas-stahl-kistchen, alt-modernisten und altmodische denkmalschutz-kader werden da freilich verständnislos den kopf schütteln. letztendlich entscheiden lässt sich das nicht, weil es eine werteentscheidung ist, der immer willkür immanent ist. entscheidend ist aber, wer sich durchsetzt - und das sind heute leider oft noch die falschen.
im obigen beispiel wäre es auch besser, den modernistischen teil abzureißen als einen modernistischen übergang zu bauen - den könnte man sich dann sparen, wenn die kisten weg sind.
Schloßgespenst
Mitglied

Beiträge: 106


 

Gesendet: 10:54 - 30.09.2004

@ Frank und Antiquitus

Ich habe mir das Gebäude in der Tat in natura angesehen - und ebenfalls festgestellt, daß es unecht wirkt.

Aber: Es geht doch hier eigentlich nicht um den Streit Reko oder modern, sondern darum, daß diese "Reko" einfach nicht gelungen ist, oder? So wie ich Frank verstanden habe, hätte er nicht gegen eine wirklich orginalgetreue Reko gehabt, er stört sich aber an diesem Pfusch, der da entstanden ist. Ich glaube wie gesagt auch, daß solche Ergebnisse der Reko-Bewegung eher schaden als nützen, weil jeder sofort sieht, das das Ding so echt ist wie das Brandenburger Tor im Phantasialand (steht das da noch?). Im Gegensatz zu der oft erwähnten Frankfurter Ostzeile: Wieviele Touris haben da wohl schon davorgestanden und gesagt "hey, hier gibt's ja noch richtig schöne Fachwerkhäuser". Frankfurt verschweigt natürlich auch nicht, daß die Zeile Baujahr 1983 ist, es steht an einer Hausecke und in jedem Reiseführer. Aber diese Reko bietet eben die (fast) perfekte Illusion, das Listmann-Haus hingegen nicht.
Frank
registriert

Beiträge: 4


 

Gesendet: 12:14 - 04.10.2004

An Antiquitus:
Da hast Du etwas falsch verstanden: Der "modernistische Übergang" zum originalen Neorenaissance-Nachbarn war Teil des Listmann-Gebäudes, wurde also 2000 mit abgerissen. Nur leider nahm der in Farbgebung und Gliederung letztlich mehr Rücksicht auf seinen Nachbarn von 1878 als der neue historisiernde Teil des Neubaus.
Die "Nachkriegsstädtezerstörer", die Du für schlechte Rekonstruktionen verantwortlich machst, dürften heute wohl eher ihren Ruhestand genießen als noch für Bau-Entscheidungen verantwortlich sein. Und falls Du eher den noch weiterexistierenden "Geist" derselben meinst: Man nennt ihn auch industrielle Bauweise, und diese und die Architektur, die sie hervorbringt, wirst Du wohl nicht mehr aus der Welt schaffen.
Daß schlechte Rekonstruktionen und unglückliche historisierende Neuerfindungen wie das Mainzer Sinn-Leffers-Haus gebaut werden, liegt meines Erachtens an zweierlei:
1. An einem Zeitgeschmack, der zu wenig Verständnis für zeitgenössische Architektur aufbringt und der dazu führt, daß Bauträger versuchen, irgenwie "nett" historisierend zu bauen. Angesichts mancher "modernistischer" Bausünden aus Vergangenheit und Gegenwart habe ich ein gewisses Verständnis für diese Position, glaube aber, daß es grundsätzlich zu JEDER Zeit und in JEDEM Stil gute und schlechte Architektur gibt und man hier nicht gleich den Weg des vermeintlichen geringsten Widerstandes gehen sollte, weil dann eben so etwas wie das Mainzer Beispiel bei rauskommt, das niemanden wirklich befriedigt.
2. Natürlich immer am lieben Geld. Bauträger des Sinn-Leffers-Hauses ist die stadtnahe Wohnbau Mainz, die gerade als semi-öffentliche Gesellschaft nichts zu verschenken hat. Und handwerkliches Bauen, das für eine gelungene Rekonstruktion nun einmal nötig wäre, ist heute bekanntlich kaum noch bezahlbar.
Was aber, wenn das Geld dagewesen wäre und man also die beiden klassizistischen Fassaden wirklich handwerklich befriedigend hätte rekonstruieren können: Was hätte man mit der Restecke am Liebfrauenplatz gemacht? Die vier kleinteiligen unterschiedlich hohen, teil mittelalterlichen Fassaden rekonstruieren, die dort bis 1890 standen? Für ein Kaufhaus, das eine einheitliche Höhe haben muß, wohl kaum denkbar. Einen Teil der Kaufhausfassade von 1890 rekonstruieren? Die füllte aber auch nicht den ganzen heutigen Bauplatz aus. Also blieb in der Tat nur das Hinzuerfinden, und das hat ja an Ort und Stelle zu einer ziemlich blamablen Lösung gefürt. Daher: Wenn man offensichtlich nicht in der Lage ist, in historischer Umgebung überzeugende Rekonstruktionen zu bauen, sollte man´s lieber lassen und versuchen, eine Lösung in zeitgenössischer Formensprache zu finden, die natürlich gleichfalls auf die Umgebung Rücksicht nehmen sollte.
Ach ja, was das Thema Authentizität angeht: Die hat mit dem Stil eines Bauwerks natürlich rein gar nichts zu tun, sondern ausschließlich damit, ob es ein unverfälschtes Zeugnis seiner Zeit bzw. der Bauweise und des Stils seiner Zeit ist. Ob ein Bauwerk nicht nur darin, sondern auch in seinen Benutzungsspuren, der Bauweise seiner Epoche, meinetwegen auch in seinen Umbauten etwas von seiner Entstehungszeit mitzuteilen hat. Und da haben Rekonstruktionen naturgemäß IMMER schlechte Karten. Gute Rekonstruktionen können in ihrer handwerklichen Bauweise und ihrer gelungenen Proportionierung immerhin noch einen Hauch dessen vermittlen, was das Origianal ausmachte, schlechte können das in der Regel nicht. Von daher halte ich das Kriterium der Authentizität in der Tat für ein sehr wichtiges.
Frank
registriert

Beiträge: 4


 

Gesendet: 12:38 - 04.10.2004

An Schloßgespenst:
Teile der Frankfurter Ostzeile haben dem Sinn-Leffers-Haus zweifellos einiges voraus, z.B. den großen Anteil an handwerklicher Bauweise und die größere Nähe zum Original(wahrscheinlich auch, weil damals reichlich Geld vorhanden war). Sie können von daher tatsächlich nicht nur eine "Illusion" vermitteln (ich finde nicht, daß das ein Kriterium für gelungenen Städtebau ist), sondern wirklich eine Ahnung von einer vergangenen Epoche geben - siehe meinen obigen Beitrag.
Außerdem, und das finde ich auch wichtig: Die Frankfurter Ostzeile wird zum großen Teil sogar genutzt wie vor ihrer Zerstörung (Erdgeschoß Läden, Rest Wohnungen), was man ja vom Sinn-Leffers-Haus nicht sagen kann.
Soll ich, wenn ich Nachrichten über die betrieblichen Umstrukturierungen bei Karstadt-Quelle (Sinn-Leffers gehört zu denen) höre, an zwei klassizistische Fassaden am Mainzer Marktplatz denken? Ich finde, da ist etwas schiefgelaufen...
OK, natürlich gab und gibt es immer Umnutzungen alter Gebäude, aber ein Patchwork schlechter Rekonstruktionen und noch schlechterer historisiernder Neuerfindungen, um 4000 qm Verkaufsfläche halbwegs unauffällig in historischer Lage zu verstecken, das sollte sich für Menschen mit Geschmack dann doch verbieten.
Schloßgespenst
Mitglied

Beiträge: 106


 

Gesendet: 15:46 - 05.10.2004

Eben - die Ostzeile wurde Stein für Stein und Balken für Balken gebaut, etwa wie die zerbombten Vorgänger 500 Jahre vorher. Das macht das Ganze natürlich noch etwas glaubwürdiger, als wenn man alles aus Beton gießt und rosa anstreicht....

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