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Autor Mitteilung
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 21:13 - 02.02.2004

Olympia als Lokomotive des Stadtumbaus
Leipzig und Halle wollen den Gästen Herberge in nagelneu restaurierten Altstadtquartieren anbieten
von Dankwart Guratzsch

Leipzig - Der erste, der auf die Idee "urbaner Spiele" kam, war der Frankfurter Stadtplaner Albert Speer: 1987, bei der Bewerbung von Frankfurt/Main für die Olympiade 2004, hatte er Modelle für das Wohnen am Mainufer entworfen. Auf alten Industrie- und Hafenarealen sollten schicke neue "Olympia-Lofts" entstehen, die später in Miet- und Eigentumswohnungen umgewandelt werden könnten. Der Plan für ein neues Wohnen am Wasser erwies sich als so zukunftsträchtig, dass die Mainmetropole daran festhielt, obwohl sie auf die Olympiabewerbung verzichtete.


Jetzt feiert der Gedanke "urbaner Spiele" seine Wiederauferstehung in Leipzig. Wenn heute Planungschef Engelbert Lütke Daldrup vor die Presse tritt, wird er erstmals Details enthüllen. Denn der Stadt schwebt Großes, bisher nicht Erprobtes vor: Die Olympiagäste sollen nicht nur citynah, sondern sogar "citytypisch" untergebracht werden. Leipzig und die mit eingebundene Nachbarstadt Halle/Saale wollen den Gästen Herberge in nagelneu restaurierten Altstadtquartieren anbieten. "Wir können und wir wollen die Olympischen Spiele nachhaltig in der Stadtentwicklung verankern", sagt der Planungsdezernent.


Dafür ist noch viel zu tun. Denn im Stadtzentrum verfügt die Messe-, Universitäts- und Musikstadt noch über ein Reservoir von 20 bis 25 Prozent unsanierten Häusern - die meisten von einer Qualität, wie sie andere Städte Deutschlands kaum vorzuweisen haben. Bisher fehlen sowohl die Mittel als auch die Bewohner, um diese palastartigen Gebäude zu sanieren. In der Olympiade sieht die Stadt nun eine Chance, sie "zeitgerecht für Olympia zu sanieren" (Lütke Daldrup). Später sollen sie als Wohnungen oder Büros vermarktet werden.


Um auf das vom Olympischen Komitee geforderte Angebot von 42 000 Zimmern im 50-Kilometer-Radius zu kommen, muss ein Volumen von 9500 Zimmern über das Angebot der Hotels und Pensionen hinaus bereitgestellt werden. Das entspricht 4000 Wohnungen in bis zu 400 Häusern - eine in der olympischen Geschichte bisher einmalige Einbindung der Spiele in den Stadtumbau. Mit Schmunzeln verwies Landesvater Milbradt in einer Sportsendung am Wochenende auf die qualvolle Quartiersuche von Austragungsorten wie Sydney: "Dort mussten Hotelschiffe angeheuert werden. Wir Sachsen schaffen das aus der Substanz."


Halle/Saale, das über eine der besterhaltenen und qualitätvollsten Altstädte Deutschlands verfügt, aber unter denselben Symptomen der Finanznot und des Einwohnerschwundes stöhnt, bekommt ein Viertel des Kuchens ab. Insgesamt sollen dort bis zu 75 oder hundert Häuser für die Olympiade bereitgestellt werden. Über die "angenehme Zusammenarbeit" zeigen sich Leipzigs Planer enthusiasmiert. Beherbergungskoordinator Weigel: "Die sind unwahrscheinlich engagiert."


Im City-Konzept sieht Leipzig seine Chance in der Konkurrenz der Olympiabewerber. Weigel: "Wir wollen keine Gigantomanie, und deshalb liegt es in der Logik, die Spiele an die Stadt anzupassen, und nicht die Stadt an die Spiele." Leipzig kann dabei mit Potenzialen wuchern, die fertig sanierte Städte auch mit Gewalt nicht stemmen könnten: "Wir haben noch relativ viele Brachflächen. Hier kann Ergänzungsbau stattfinden. Und wir haben die hervorragende bauliche Tradition, die wir mit Hilfe Olympias unter Nichtwachstumsbedingungen in die Zukunft bringen können."


Und so sieht das Beherbergungskonzept aus: Villen, Mietshäuser und Gebäudeblocks, darunter komplette Quartiere, die sich überwiegend im Besitz der Wohnungsgesellschaften befinden, werden mit Bundeszuschüssen für vier Angebotskategorien hergerichtet: De Luxe (5-Sterne-Kategorie, hauptsächlich Luxus-Villen); Premium (4-Sterne-Klasse, Schwerpunkt Gründerzeit); Komfort (3 Sterne, darunter auch 50er-Jahre-Quartiere); dazu 14 000 Appartements (2-Sterne) zu 100 bis 110 Euro quer durch die ganze Stadt. Nur die Appartement-Bewohner müssen sich selbst versorgen. Für die drei gehobenen Kategorien des "Residenz-Konzepts" haben die ortsansässigen Hotels schon jetzt in "100 Prozent verbindlichen Absichtserklärungen" Patenschaften übernommen und garantieren den "Full-Service" einschließlich Reinigung, Catering und Bettwäsche.


Dass es keine "Luftnummer" wird, davon ist Weigel, der selbst aus dem Stadtplanungsamt kommt, überzeugt: "Wir rechnen in zehn Jahren mit 7500 zusätzlichen Arbeitsplätzen. Deshalb ist die Prognose für die Einwohnerzahl eher positiv. Beim Premium-Segment sehen wir für die Nachnutzung ohnedies relativ gute Chancen am Markt. Und was das Massensegment der Appartements betrifft, so ist es für die Stadtentwicklung von zentraler Bedeutung. Hier wollen wir eine Imagekampagne starten, um innerhalb von zehn Jahren einen Selbstnutzermarkt aufzubauen."


Stiefkind des Konzepts ist vorerst der private Grundbesitz. Planungschef Lütke Daldrup gibt ihm dennoch gute Chancen: "Wenn wir den Zuschlag für Olympia bekommen, dann gehen wir auch an die Privaten ran."


Artikel erschienen am 2. Feb 2004 i.d. WELT

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Leipzig: Doping für die Innenstadt-Quartiere
Leipzig - Für Leipzig ist es die Probe auf den Trend. Seit der Wiedervereinigung, seit der Sanierung der Innenstadt, seit der Wiederbelebung des Zentrums erlebt die Stadt einen beispiellosen Zuzug in die Stadtmitte. Noch 1998 zählte die Innenstadt nurmehr 260 000 Bewohner - in fünf Jahren schwoll hier die Einwohnerschaft auf 289 000 Einwohner an - einmalig in ganz Europa, wo die Innenstädte schleichend ausbluten.


Der Sieg der City wurde auch in Leipzig gegen den Trend errungen. Denn zunächst hatten sich im weiten Umkreis der Stadt gigantische Verbrauchermärkte niedergelassen. Sie drohten der einstigen Weltstadt das Blut auszusaugen. Planungsexperten warnten vor Ladensterben und Bewohnerexodus.


Heute scheinen diese Sorgen vergessen. Die prachtvollen, reich ausgestatten Gründerzeitpaläste, zu DDR-Zeiten zu Ruinen verfallen, erstrahlen in betörendem Glanz. Das innerstädtische Geschäftsleben pulsiert, die Kneipenszene erobert ganze Quartiere und überbordet auf Fußwege und sogar Fahrbahnen.


Sorgen machen der Stadt die liegen gebliebenen Verfallsobjekte dazwischen, in denen der Schwamm inzwischen so wuchert, "dass man wie auf Daunen geht", wie der Denkmalpfleger mit melancholischem Lächeln erklärt. Für diese Häuser keimt jetzt endlich Hoffnung auf.


Dabei kommt auf die Stadt eine Sisyphusaufgabe zu. Sie muss eine hochqualifizierte Auswahl treffen. Bei aller Sympathie für die Notzeit- und Behelfssiedlungen der 50er Jahre. Auf ihnen kann nicht der Hauptakzent liegen - schon deshalb nicht, weil dieser Gebäudetyp kaum noch Interessenten findet. Vorrangig und gezielt sollte das architektonisch Beste und städtebaulich Bedeutendste, was die einst reiche Stadt an Gebäudesubstanz in die Gegenwart retten konnte, in die Beherbergungsplanung einbezogen werden. Es repräsentiert ein Kulturgut, das es in ähnlicher Qualität fast nur noch im Ausland gibt. dg.




Artikel erschienen am 2. Feb 2004 i.d. WELT

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Halle: Logieren wie des Königs Bankier
Wie die Saale-Stadt vom olympischen Beherbergungsprogramm profitiert
Halle - Einst residierte der Bankier Heinrich Ernst Lehmann in dem Haus, bald sollen hier die Gäste Olympias logieren - wenn Leipzig den Zuschlag für Olympia 2012 erhält. Dann werden auch in der Nachbarstadt Halle/Saale, der größten Stadt Sachsen-Anhalts, die Sektkorken knallen. Denn Halle, das einen der schönsten und geschlossensten Altstadtkerne unter allen deutschen Großstädten besitzt, will von den Brotsamen, die von den Tischen der Leipziger fallen, etwas abhaben. Und deshalb beteiligt es sich am anspruchsvollen Beherbergungskonzept der "Residenzen."


Was heißt das? An die hundert Altbauten der Saalestadt erhalten die Chance, mit Bundeszuschüssen aufgemöbelt zu werden. Die Villa Lehmann steht dabei ganz oben auf der Wunschliste. Denn so herrschaftlich, so pompös, so märchenhaft verwunschen präsentiert sich kaum eine zweite Luxusherberge des Angebots. Sogar den Leipzigern, die immerhin das Gohliser Schlösschen einbringen wollen, hoffen die Nachbarn von der Saale damit die Show zu stehlen.


Die Villa gilt als "nicht die beste, aber mit Abstand prunkvollste Villa des Historismus in Halle." Kunsthistoriker mäkeln über architektonische Missverhältnisse: "Die Villa hat die Dimensionen einer Burg, aber die Proportionen eines Landhauses. Der auf asymmetrische Übereckansichten angelegten Kubatur des Baus widerstreitet sichtlich die auf konventionelle Repräsentation zielende Stilwahl. Die italienischen Renaissanceformen fordern strikte Symmetrie, die der asymmetrische, sehr funktional gedachte Grundriss nicht zulässt."


Heute erscheint das wie Beckmesserei. Denn so prachtvoll, so repräsentativ kann sich kein Bauherr mehr zur Geltung bringen. Die schier überwältigende Innenausstattung dürfte selbst die verwöhntesten Gäste noch in Staunen versetzen: das lange Vestibül und die zentrale Halle als Entree für den großen Festsaal mit Paradetreppe, Oberlicht und ovalem Durchbruch ins Obergeschoss; um die Halle gruppieren sich Salon, Damen-, Herren-, Gesellschaftszimmer und Bibliothek.


Mit dieser Ausstattung garantiert das Haus ein wahrhaft olympisches Erlebnis anlässlich und neben der Olympiade, wie es die großzügigsten Suiten der Welt für den internationalen Jet-Set bereithalten. Dass es mit Leipzig und Halle gerade ostdeutsche Städte sind, die damit aufwarten können, ist dem Reichtum Mitteldeutschlands in der "imperialen" Periode und der partiellen Verschonung dieses geographischen Raumes durch die Bomberflotten des Zweiten Weltkriegs zu danken. gur.




Artikel erschienen am 2. Feb 2004 i.d. WELT



Philipp
Mitglied

Beiträge: 168


 

Gesendet: 21:20 - 02.02.2004

Phantastisch! Die Olympischen Spiele als Rettung für das letzte unsanierte Drittel von Leipzigs Gründerzeithäusern! Ciao, Plattenbauten.
Ben
Goldenes Premium-Mitglied

Beiträge: 1337


 

Gesendet: 22:34 - 02.02.2004

Das wär' ja Klasse! Vielleicht kann man in der Paulinerkirche ja auch irgendwie in das Wohnkonzept miteinbeziehen ...! Aber auch ohne Olympia, kann man diese Aufgabe anpacken!
Wie stehen denn die Chancen für Leipzig?
Hier nch mal die Konkurrenten:
Paris, Leipzig, New York, Moskau, Istanbul, Havana, London, Madrid und Rio de Janeiro.

Christopher
Novize

Beiträge: 31


 

Gesendet: 22:41 - 02.02.2004

Das ist ja mal positiv. Wollte man in Leipzig nicht großflächig Gründerzeitbauten abreißen, weil sich keine Mieter finden. Man dachte doch, das wäre zukunftsgerichteter Stadtumbau.
Hat da jemand Umgedacht? Oder "einfach nur" auf die Bürger gehört?Das wär ja mal was!
Claus
Mitglied

Beiträge: 164


 

Gesendet: 12:45 - 03.02.2004

@Christian
Leipzig hat letzes Jahr auch ein ziemlich energisches Protesschreiben wegen des geplanten Abrisses der Gründerzeithäuser erhalten.Ich sprach ihnen dafür jede Legitimation ab und machte sie darauf aufmerksam,dass sie sich an unserem kulturellen Erbe versündigen.Die Antwort war sehr lang, ausführlich und gewunden. Der zuständige Baudirektor verwies auch auf diesen Bundespreis für ihr Stadtumbau-Konzept.Anscheinend haben da noch mehr Leute ihren Unmut kund getan. Ich hoffe nur,dass bei einer Ablehnung Leipzigs nicht Alles wieder in Frage gestellt wird.
@Ben
Hm,mal sehen.Was haben wir für Konkurrenten?
1.)
Istanbul und Rio de Janeiro:
keinerlei Infrastruktur vorhanden und für einen kompletten Start bei Null fehlt diesen beiden Städten bzw. ihren Ländern das Geld.
2.)
Havanna:
hat keine Chance,solange Castro an der Macht ist wegen Veto der Amis,zudem auch überhaupt kein Geld dort vorhanden.
3.)
New York:
hätte Chancen wegen dem 11/09-Mitleidsbonus.Aber dagegen spricht,dass die USA mit Atlanta und Salt Lake City in letzter zeit schon zweimal präsent waren.
4.)
Madrid:
hätte prinzipiell gute Chancen,aber Barcelona ist noch nicht so lange her.
5.)
Moskau:
wäre ein starker Gegner,aber nur mit finazieller Hilfe des Staates als Prestigefrage.Und es könnte sein, dass gewisse politische Entwicklungen wie Tschetschenien das IOC davon Abstand nehmen lässt.
6.)
Paris und London:
das sind die wahren Konkurrenten.GB hat schon ewig keine Spiele mehr ausgetragen,länger als Deutschland nicht.London wäre sozusagen mal an der Reihe und ich vermute sogar,dass sie es bekommen.
Paris hat das Geld und die Möglichkeiten.Beide Metropolen profitieren von ihhrem hohen Bekanntheitsgrad und ihrem Image.Das könnte für Leipzig das Hauptproblem werden,es ist international zu unbekannt.

Ben
Goldenes Premium-Mitglied

Beiträge: 1337


 

Gesendet: 12:56 - 03.02.2004

Ja, so ungefähr habe ich mir das auch gedacht...
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 23:27 - 03.02.2004

ich rechne auch nicht damit, dass leipzig die spiele bekommt.
aber ihr konzept ist wirklich hervorragend (und in ostd. waren noch nie spiele ).
vielleicht, mit etwas glück...
fonti
Stammgast

Beiträge: 88


 

Gesendet: 10:36 - 04.02.2004

Hab eben an Leipzig eine Mail geschrieben in denen ich ihr Konzept gelobt hab; Politiker sollen auch ma mitbekommen wenn se was richtig machen
Hab gesagt dass das Projekt nicht nur im Hinblick auf Olympia vorbildlich ist, sondern auch im Hinblick auf Altbauerhaltung und dem Pflegen der Traditionen/Vergangenheit.
Wenn sich mir ein paar anschließen überlegen sich die Politiker vielleicht auch das Konzept umzusetzen wenns nicht mit Olympia klappt, weil sie den Rückhalt der Bevölkerung haben und mal merken was diese wirklich wollen, und das sind keine möchtegernmodern-Glaskästen
Stefan
Novize

Beiträge: 35


 

Gesendet: 20:46 - 04.02.2004

Leipzig und Olympia is ja richtig niedlich

:lachen:

Da treten Weltmetropolen an und wir schicken im Vergleich ein "Kaff" ins Rennen. So doof können auch nur wir Deutschen sein. Meinen wir denn wirklich, dass IOC interssiert allen ernstes für Montagsdemos oder dafür, dass die Stadt im Osten liegt??? Da werden Millonen für Konzepte und Werbung verpulvert und am Ende werden die Menschen enttäuscht sein. Leipzig is eine sympathische und putzige Stadt, doch die Olympischen Spiele brauchen einen anderen Ort mit mehr internationaler Strahlkraft.
Hamburg wäre die einzige deutsche Stadt gewesen, die das geboten hätte. Doch es wurde wieder mal eine politische und keine realistische Entscheidung getroffen.
Immerhin bin ich fast ein Jahr lang umsonst mit "Feuer und Flamme für Hamburg" an der Jacke rumgelaufen...:-))
Sonja
registriert

Beiträge: 21


 

Gesendet: 04:53 - 05.02.2004

Leipzig bekommt Ärger
Im Wettbewerb Augustusplatz wurde die Rekonstruktion der Paulinerkirche ausgeschlossen
von Dankwart Guratzsch

Wird die Universitätsplanung für den Leipziger Augustusplatz zum Streitthema der Leipziger Parteipolitik? Zur Erinnerung: Um die von der sächsischen Landesregierung geforderte Einbeziehung der von Ulbricht gesprengten Paulinerkirche in die Campuspläne war es zu einer heftigen Kontroverse mit Oberbürgermeister Tiefensee und der Universität gekommen. Nach dem Scheitern eines ersten Architektenwettbewerbs sollten die Wogen danach in einem zweiten geglättet werden. Jetzt liegen die Entwürfe auf dem Tisch - und neuer Streit ist programmiert.
Der Eklat entzündet sich an der Haltung des Stadtoberhaupts. Tiefensee soll nach Aussagen von Jurymitgliedern in der Sitzung erklärt haben, dass es "übereinstimmende Ansicht" bei Auslobung des Wettbewerbs gewesen sei, eine Rekonstruktion der Kirche auszuschließen. Kurz danach flogen die beiden einzigen Beiträge aus dem Wettbewerb, die das berühmte Gotteshaus, in dem Luther gepredigt und Bach die Orgel gespielt hatte, wieder in das Leben der Universität und in das Bild des Platzes zurückholen wollten: die Entwürfe von Hans Kollhoff und Helge Bofinger.
An diesem Vorgang entzündet sich jetzt ein Streit, der - wie es aus Kreisen der Bürgerinitiative "Paulinerverein" heißt - bis vor die Gerichte getragen werden könnte. Die beiden geschassten Wettbewerbsteilnehmer könnten sich um gleichberechtigte Behandlung betrogen fühlen, da im Ausschreibungstext ein Ausschlusskriterium, wie es Tiefensee in der Jurysitzung angeblich geltend gemacht hat, nicht enthalten war. Vielmehr heißt es dort ausdrücklich: "Die Lösungsmöglichkeiten umfassen das Spektrum von der Neuinterpretation in einer zeitgemäßen Gestaltung unter Berücksichtigung einer angemessenen Erinnerungshaltung an die ehemalige Paulinerkirche bis hin zur Orientierung am historischen Erscheinungsbild der Paulinerkirche."
Von der Jury wurden lediglich vier Entwürfe zur Weiterbearbeitung angenommen, die mit einer Ausnahme die Platzwände lieblos stupide gestalten und das historische Bauwerk nur schattenhaft oder als "Negativskulptur" in Erinnerung bringen. Behet Bonzio (Münster), die Favoriten der ersten Runde, liefern einen fensterlosen Kubus aus Sichtbeton, dem im Abstand von drei Metern eine Marmorwand vorgestellt ist. Durch das opalisierende Material sollen die Umrisse der Kirche undeutlich hindurchschimmern. Während der Stuttgarter HG Merz das Erinnerungsbild der Kirche aus der Platzansicht seines kubisch gegliederten Entwurfs gänzlich verdrängt, simuliert es Peter Kulka (Köln/Dresden) mit geätzten Glasplatten, die vor die rechteckig aufragende Betonwand der Aula gehängt sind. Den originellsten Beitrag steuert der Holländer Erick von Eggeraat (EEA/Rotterdam) bei. Kirche und Universitätsgebäude verschmelzen zu einer expressionistischen Skulptur, die vom aufragenden Giebel der Kirche dominiert wird.
Zu all diesen Entwürfen bildet Kollhoffs Projekt den klassizistischen Gegenentwurf. In ihm allein lebt etwas vom Anspruch des großen Platzensembles auf, das heute durch Henselmanns Bücherturm beherrscht wird. Bis in die Details der Fassadengestaltung, die individuell und feingliedrig wie in keinem zweiten Entwurf herausgearbeitet sind, rekapituliert er die große und tragische Geschichte eines Stadteingangs, der seit der Sprengung der Kirche seine Prägnanz verloren hat. Doch der Beitrag soll der Öffentlichkeit gar nicht bekannt werden. Wie schon im ersten Wettbewerb wird das Thema ohne jede Transparenz hinter verschlossenen Türen behandelt.
Jetzt hat der Paulinerverein die Flucht nach vorn angetreten. In einer Note fordert er, dass die hinauskatapultierten Entwürfe von Kollhoff und Bofinger entsprechend der Ausschreibung weiter bearbeitet werden können und die Bevölkerung in die Entscheidung einbezogen wird.

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